Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Herr«, sagte er. »Bist du sicher...«
»Ich bin sicher, getreuer Emes.«
Emes lächelte. »Dann erlaube mir, dir dennoch zu folgen, Herr, um deine Sicherheit zu teilen.«
Plötzlich brach der Regen los. Sie hasteten voran, standen unter einer verkrüppelten Palme, liefen weiter, suchten einen Moment Zuflucht im bröckelnden Bogengang eines der tausend Häuser der Lust. Aus dem Innenhof und den Räumen zogen Schwaden eines Holzfeuers; sie hörten Geschrei und Gekreisch und Gekicher, schrilles Gestöhn, dazwischen jäh das Geräusch von Peitschenhieben und dann wieder klirrende Becher. Eine scheußliche Gestalt erschien im Hof: ein Mann, verwachsen, mit der Maske eines gräßlichen dreiäugigen daimon oder eines Gottes und Hörnern auf der Stirn. Der Körper war nackt; er schien vor allem aus schwellenden Muskeln und einem aufgedunsenen Phallos zu bestehen.
Der Mann, wenn es einer war, verließ den Hof, ohne sie zu beachten. Er spielte auf einer dünnen Holzflöte eine wehmütige, lockende Melodie. Zwei Mädchen versuchten ihn zurückzuhalten, aber er schüttelte sie ab.
Ptolemaios sah den Falkenkopf, ein Brandzeichen, über dem linken Schulterblatt; er zupfte an Drakons Chiton. Der Arzt wehrte ab: Auch er hatte das Brandzeichen gesehen.
Der Regen fiel, hing zwischen den schäbigen Lehmhäusern wie ein halb durchsichtiger Vorhang, aber Ptolemaios bemerkte ihn nicht mehr. Wie im Traum bewegten sich seine Füße, durch breiigen Lehm und Kot und Abfall, Pfützen und Rinnsale; sie folgten dem Mann, oder den Tönen. Sie alle: Alexander, Hephaistion, Kleitos, Drakon, Emes. Rechts und links wurden die Häuser immer erbärmlicher, niedriger, angefressen von Zeit und ausgewaschen von Regen. Regen, der zunahm an Wucht und Rauschen, bisweilen fast ein Trommeln zur Flöte der seltsamen Gestalt. Die Töne wurden immer schriller, immer schneidender. Und wie das Wasser den Häusern zusetzte, schien es auch den Flötenspieler zu vermindern. Von hinten sah es aus, als ob die Maske sich auflöste, herabströmte wie schlechte Schminke. Farbstriemen zogen sich über den Körper, wuschen auch die Muskeln weg und den Buckel; der Mann schien kleiner zu werden. Der eingebrannte Falkenkopf blieb; im Auge des Vogels lagerte sich Ocker ab.
Sie traten zwischen den Häusern heraus ans steile Ufer eines alten, schlammigen Kanals, auf den Treidelpfad, der geborstene Brandziegel war und wucherndes Unkraut. Weiter rechts führten ausgewaschene, ausgetretene Stufen hinab zur Wasserlinie und zu einem versunkenen Anleger. Der daimon -Mann wandte sich um; sie sahen sein verfärbtes, gestriemtes Gesicht. Er war alt, verschrumpelt, wie eingelaufen; die Zähne, die er in einem Grinsen entblößte, ehe er weiterblies, waren schwarze Stümpfe, und die Augen überkrustet von einem glasig-weißen Schimmel. Er setzte die Flöte wieder ab; in seinen Händen wurde sie zu einer kleinen Schlange, die er fallen ließ. Sie wand sich und sickerte zwischen zwei Bodenplatten in die Erde.
Emes legte die Hände vor die Augen. Kleitos und Hephaistion zuckten, wie bei einem unbehaglichen Gedanken, der den Halbschlaf stört, ohne den Schläfer ganz zu wecken. Drakon warf etwas in den Kanal, aber die Hand war leer gewesen. Ptolemaios klammerte die Rechte um Alexanders Arm.
Der König schüttelte ihn ab; er schien sich als einziger wirklich bewegen zu können. Mühsam, als müsse er mit der Zunge Felsbrocken beseitigen, sagte er auf Hellenisch:
»Wer bist du, alter Mann?«
Der daimon öffnete den verfallenen Mund. »Ich war einmal ein Fürst; jetzt bin ich niemand.« Er sprach Aramäisch.
»Wie ... kannst du von nichts zum Fürsten und dann zu niemand werden?«
Ohne sichtbare Regung sagte der daimon, der nun Iranisch verwendete: »Dies ist der Platz, wo alle Dinge enden, König der Makedonen.« Er ging zur verfallenen Treppe an der steilen Kanalwand. »Kommt.«
Alexander zögerte. Die anderen folgten dem alten Mann oder daimon, mit den Bewegungen von Puppen. Alexander zischte und zog das Schwert, ehe er ebenfalls folgte.
Ein paar Fuß oberhalb der Wasserlinie, oberhalb des versunkenen Anlegers, kroch der daimon in eine Art ausgewaschener Höhlung mit einer kleinen Öffnung. Er wandte sich um, winkte ihnen, sie folgten. Im Dunkel unter der Erde hörten sie vor sich seine Stimme dröhnen.
»Vor dreitausend Jahren wurde Babylon erbaut, aus Lehm und Geistern. Regen und Fluten zerstören den Lehm, damit neue Geister eine neue Stadt bauen können. Aber alle alten
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