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Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Titel: Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Städte sind noch da, jede unter der, die ihr folgte. Und die alten Geister sind hier.«
    Es wurde ein wenig heller, als ob von irgendwo Licht durch Öffnungen oder Löcher einsickerte. Sie kamen in ein unterirdisches Labyrinth von vielen Ebenen. Manchmal erstiegen sie eine Treppe oder Leiter, manchmal rutschten sie einen schlammigen Hang hinab; sie sahen die Mündungen von drei Gängen übereinander, sie sahen zahllose Gänge und Durchstiege, die aus all den kahlen Hallen fortführten, abzweigten, sich verzweigten. Immer folgten sie dem alten Mann mit den silbrig verkrusteten Augen. In einer tiefgelb glimmenden Halle fiel zischend eine kleine Schlange – die kleine Schlange? – von oben um seinen Hals; er setzte sie an die Lippen, und wieder war sie Flöte. Ein unheimlicher Klageton drang aus ihr und füllte die Hallen und Gänge.
    Sie kamen vorüber an zerbrochenen Liegen, morschen Tischen, einem dreigeteilt verrottenden Königsthron, einer großen Beratungs-oder Festtafel mitzwei Löwenbeinen; sie wateten durch eine Flut fiepsender Mäuse; sie umrundeten eine abgesunkene Pfütze, die von Schlangen wimmelte. Aus den glimmenden, triefenden Wänden starrten Augen nach ihnen, Augen, die zu keinem Gesicht gehörten: Augen auf Stengeln, diesichbewegten, bogen, wanden. Ineinem langen Gangwurde es heller; Menschenarme, die aus den Wänden wuchsen, hielten Kristallbälle voll von tiefrotem inneren Feuer, aber die Menschenarme endeten in ungeheuerlich aufgedunsenen Händen mit Krallen oder drei Fingern oder zwei Riesendaumen oder sich windenden Tastfäden. Sie kamen vorüber an einer Schar verkrüppelter Bettler, deren fehlende Körperteile abgenagt schienen; sie sahen einen Mann mit dem Silbergesicht des Aussatzes und leeren offenen Augenhöhlen; sie sahen eine Frau mit vier Brüsten und zwei Köpfen; einen sechsbeinigen Stier mit Schwingen; einen wundersam liebreizenden Knaben, dessen Gemächt ein Dreizack aus zischelnden Vipern war; das Standbild eines gelbhäutigen Kriegers mit Krummsäbel und schmalen, geschlitzten Augen; das Standbild eines schwarzen Pharaonen; das Standbild eines anderen Kriegers mit rotem Helmbusch und einem Adler als Feldzeichen auf der Lanzenspitze; das Standbild eines ausdruckslosen Mannes, der eine lange graue Tuchhose trug, eine graue Tuchjacke mit Knöpfen, einen schwarzen Knotenstrick um den weißen Tuchhals; das Standbild Alexanders; das Standbild des bärtigen Zeus; das Standbild der Liebesgöttin, den Unterleib vorgereckt, die Pforte der Lust voller Löwenzähne.
    Verwaschen, vergrößert, entrückt und doch nah sah Ptolemaios die Gesichter der anderen: Emes, erfüllt vom Grauen eines vielgestaltigen, unentrinnbaren Albtraums, angeklammert an sein Schwert und seine Tapferkeit und sein Vertrauen zu Alexander; Kleitos mit schmalen Augen, ein gesunder Mann, der schreckliche und gefährliche Gesichte bekämpft, an denen er keinen Anteil haben will; Drakon, starr, gefroren, die Züge wie aus Eis gemeißelt, das gleich schmelzen wird; Hephaistion, ein Schlafwandler, der durch Irrsinn watet, die Augen voll von einem unwirklichen Glühen, dem Glühen, das ein innerer daimon angefacht hat; Alexander – Alexander – Alexander mit dem unglaublichen, rettenden, kräftigenden, kühlen Gesicht des Herrn, dessen Miene einer Horde von Knechten sagt: Versucht nicht, mich zu erschrecken, sonst bringe ich wirkliches Entsetzen über euch; der aber gleichzeitig alles durchaus fesselnd findet und versucht, ein führender Teil des Ganzen zu werden.
    Die Geräusche vervielfachten sich: das Kreischen der Flöte, Schaben und Krabbeln und Kriechen von kleinem Getier und Mäusen und Würmern; irgendwo in der Ferne, in einer unermeßlichen Echohalle, das dröhnende Pochen eines Herzens; tausend Stimmen – jung alt Männer Frauen – wispernd und murmelnd und redend und schreiend, nah und fern; das Hohngelächter eines Ertrinkenden, der nichts mehr weiß; das Gurgeln eines Erwürgten; das Rascheln und Reißen von Papyros; knisterndes Feuer, jaulender Wind. Gerüche von verwesenden Menschenleibern, von Garküchen und Abfällen; von junger Haut gesalbt mit Nardenöl; von Kinnamon auf den Lippen eines Lustknaben; von Salz und Sand, überreifen Feigen, nassem Leder am Feuer, blutigen Klingen; der stechende, beklemmende Geruch eines namenlosen Ungeheuers, das im Dunkeln lauert.
    Sie kamen durch eine Halle, in der unvorstellbarer Reichtum aufgetürmt, zerstreut, zertrampelt war: riesige Standbilder von Ishtar und Marduk

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