Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
von Pferden wimmelten ... Zwei Jahre hatte er auf den Feldern eines großen Guts verbracht, weitere zwei Jahre in den Werkstätten, wo er feinste Truhen und Kistchen fertigen und beschnitzen mußte. Dann noch einmal zwei Jahre der Handwerksarbeit und der Musik zwischen den Herrenhäusern und Palästen, den Mauern und Hecken, den Wiesen, Gärten, Zedern und Zypressen der reichen, grünen Vorstadt nördlich von Karchedon, der Megara, wo Adherbal wohnte, wenn er nicht in der Welt umherreiste, um Karchedon Belange zu fördern und seine tausend Kundschafter zu lenken. Davon hatte Dymas nichts gewußt; erst allmählich war ihm klar geworden, daß Adherbal kein einfacher, wiewohl reicher und mächtiger Grundherr war. Der Herr der Pferde ... Er hatte – oder seine Leute, was auf das gleiche hinauslief – Dymas’ Gaben erkannt, unauffällig gefördert, ihn an den Korinther Demaratos verkauft, der natürlich ebenfalls nur Händler war. Mit dreizehn Jahren; in dem Jahr, da Philipp sich mit Olympias vermählte? Ein Jahr vor Alexanders Geburt?
Dann, fünf oder sechs Jahre später, als Philipp die Phoker niederrang, eine erste Heimkehr – denn es war Heimkehr; an das schäbige Herakleia, wo er als Sikeliot geboren worden war, gab es kaum Erinnerungen – und die erste Begegnung mit dem Nachfolger des sterbenden Adherbal, Hamilkar, der ihn mit Bagoas dem Heilen, Herr der persischen Aufklärer, zusammenbrachte. Damals war der Perser etwa dreißig Jahre alt gewesen, er mußte nun einundfünfzig oder zweiundfünfzig sein, und sein karchedonischer Gegenspieler fünf oder sechs Jahre jünger.
Dymas seufzte; weil auch er bald vierzig sein würde. Seit mehr als zwanzig Jahren hatte er Karchedon nicht mehr gesehen, aber die Stellen, die er damals besucht, erlebt, in sich aufgenommen hatte, waren unverändert. Fast 500 Jahre bestand die Stadt; seit fast 300 Jahren beherrschte sie das westliche Meer, den Westteil Siziliens, das wilde Sardonien, den Norden Libyens bis zu den Säulen des Herakles – hier sprach man von den Säulen des Melqart –, wo das Meer endete und der Okeanos begann, den Süden Iberiens, irgendwelche finsteren Küstenländer, wo es Gold und Elefantenzähne gab, am Okeanos selbst, und möglicherweise noch entlegenere Gegenden, von denen die Kaufherren schwiegen, damit keiner außer ihnen den Weg dorthin suchte. Die Säulen der großen Tempel, die Grundmauern des Ratsgebäudes, die ersten Herrenhäuser waren errichtet worden zu einer Zeit, als Athen ein befestigtes Dorf mit vielleicht 5000 Bewohnern war und die Könige Spartas noch jeden Schweinehirten ihres Landes mit Namen kannten.
Das schiere Alter Karchedons bewies dem Musiker, daß auch er älter geworden war. Er entsann sich seiner Gefühle, damals – die üppige, gleichwohl strenge Megara hatte er geliebt, die Stadtviertel der hellenischen Metöken, der Libyer, der tausend anderen Völker geschätzt. Die alten Teile der Stadt, die den Karchedoniern nicht unbedingt vorbehalten waren, in denen aber nur Karchedonier wohnten, waren ihm als düster, bedrohlich, abstoßend erschienen. Allen Nicht-Phönikern flößte die unmittelbare Umgebung des Baal-Tempels mit dem uralten tofet Unbehagen ein, selbst wenn dort seit über hundert Jahren das mulk -Opfer nicht mehr mit lebenden Kindern gefeiert wurde, sondern mit Totgeborenen oder früh an Krankheiten Verstorbenen. Aber es war ein Ort, den nur Karchedonier betreten durften, ein Brunnen schwarzen Lichts, der für Fremde alles ringsum verfinsterte.
Diese Finsternis war immer noch greifbar, aber die anderen alten Teile, damals fast ebenso düster, erschienen Dymas nun beinahe schön. Er suchte im Geist nach Wörtern für seine Empfindungen: Gelassenheit, Beherrschtheit, Ehrwürde oder Würde des Alters, Erbaulichkeit ob strenger Formen... Erst nach und nach ging ihm auf, daß die veränderte Wahrnehmung an ihm lag, nicht am Wetter oder an baulichen Veränderungen, die es nicht gab. Er war älter geworden und konnte alte, dauerhafte Dinge, die Ausprägung von Geschichte schätzen, die ihn damals abgestoßen hatte – damals, als er jung war und das Junge, Aufbrechende, Sprießende suchte.
Vor der engen Hafeneinfahrt ließ man sie warten, einen halben Tag lang. Endlich kam ein Vertreter der Zollbehörden an Bord, überzeugte sich davon, daß alle Siegel und Stempel in Ordnung waren, daß der Schiffseigner Wohnrecht in Karchedon besaß, daß man für die Waren bereits in Sabrata die vier Hundertstel des Warenwerts an
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