Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Memphis, wo er jedoch nicht ankam. Eine Tagesfahrt unterhalb der Hauptstadt hörte er, Alexander werde dort am nächsten oder übernächsten Tag zurückerwartet. Er hatte mit seiner Musik nicht gut, aber auch nicht schlecht verdient; es reichte, um sich von einem Flußfischer aufs östliche Nilufer bringen zu lassen und dort ein – schlechtes – Pferd zu kaufen. Daß er die Tempel, die Schänken und die Pyramiden nicht zu sehen bekam, nahm er Alexander persönlich übel. Dafür sah er andere Dinge: das Leben und Arbeiten und Sterben am Fluß; einen tausendfarbigen Sonnenuntergang in verwehenden Gewitterwolken über dem Ackerland, das durch den sommerlichen Beginn der Nilschwelle zum unendlichen See geworden war; das schlechte und dazu dumme Pferd, zerrissen von zwei Krokodilen; den schaukelnden Horizont vom Rücken eines Kamels, und abends die Verästelungen der Flammen im Feuer, das mit Kameldung gespeist wurde; tausend andere Tempel und Städte; den Beginn vom Ende der großen Befreiung, als die Ägypter zu begreifen schienen, daß die Makedonen weniger grausam, weniger tiefgreifend das Land veränderten als die Perser, daß aber auch sie eine Fremdherrschaft errichten würden; die jähen, fast dämmerlosen Übergänge zwischen Tag und Nacht, die er in den Jahren fast vergessen hatte und die ihn immer wieder betäubten. Sein Ägyptisch, so lange unbenutzt, belebte sich mit jedem neuen Tag mehr; die Sonne brannte ihn schwarz, bleichte seine Haare aus und ließ die Erinnerungen an thessalische und andere Winter verglühen – fast.
Überall, auch in den entlegenen Dörfern des oberen Ägypten, drehten sich die Räder der Verwaltung, eingerichtet vor Jahrhunderten, verfeinert, verfallen, erneuert, von Ägyptern und Aithiopiern und Kuschiten betrieben, dann lange Jahre von Hellenen und Arabern, gegen Sold, dann wieder von Ägyptern, die den Persern dienten, von Persern, wieder von Ägyptern, hin und wieder Hellenen oder anderen Fremden, abermals von Persern und ihren ägyptischen Knechten, und nun von Hellenen und Makedonen, die die alten Wege und Verfahren übernahmen – nachdem sie alle Perser entlassen oder entfernt hatten. Und weil überall makedonische oder hellenische Steuereinnehmer unterwegs waren, oft geschützt von kleinen Truppenteilen, erfuhr Dymas die wichtigen Dinge: Alexanders Aufbruch nach Babylonien, die Erhebung der Peloponnes unter Spartas König Agis gegen Makedonien.
Als der Herbst begann, schloß er sich einer Karawane von Eselmännern an, die durch die Wüste nach Nordwesten zogen: Männer aus Arabien, aus Saba, aus Kusch. Sie brachten Weihrauch für die Tempel und für die Kohlebecken der reichen Handelsherren ins Reich der Karchedonier. Nicht nach Karchedon selbst; ein Händler in Sabrata, wo die Westphöniker Truppen und Zöllner unterhielten, kaufte ihnen die Lieferungen ab und ersparte ihnen den restlichen Weg sowie den Zoll. Und, vermutete Dymas, einigen Gewinn, denn in Karchedon oder einem anderen großen Ort des Kernlands hätten sie wohl ein Mehrfaches dessen erzielen können, was der Händler ihnen zahlte.
Von Sabratas Hafen nahm ihn ein für die Musik empfänglicher Hellene, dessen Familie seit fast einem Jahrhundert in Karchedon lebte, mit in die größte Stadt der Oikumene. Die Fracht seines Küstenseglers bestand aus kyrenischem Wein, ein paar Ballen mit Silphion und einer großen Menge des Weihrauchs, den Dymas bis Sabrata begleitet hatte.
Es war eine seltsame Art von Heimkehr. Mit sieben Jahren hatte er als Sklave das Land der Libyphöniker betreten, östlich der großen Stadt. Manchmal versuchte er, sein Leben und die Ereignisse in der Oikumene zeitlich zu verknüpfen; Beginn der Sklaverei (und Tod seines Vaters) mußten drei oder vier Jahre vor Philipps Machtübernahme in Makedonien geschehen sein – vielleicht im letzten Lebensjahr des großen Thebaners Epameinondas. Er hegte noch immer verschwommene Erinnerungen an die weiten, fruchtbaren Landstriche der karchedonischen Ostküste bei Hadrymes: die Gemüse- und Obstgärten, mit zahllosen Obstarten, die man in Hellas nicht kannte, und mit kunstvollen Bewässerungssystemen, von denen Hellas nur träumen konnte; die weißen Landhäuser, im Schatten der Zypressen und Pinien, gelassenes Alter und selbstverständliche Anmut nach außen, prunkender Reichtum und Schwelgerei von innen; die gefüllten Speicher; die wogenden Getreidefelder, die Ölbäume und Weinberge; die grünen Ebenen voller Rinder und Schafe, die Weiden, die
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