Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
verwirrenden Ergebnissen (verwirrend für das Spielzeug, nicht für den Gaukler), und schließlich hatte er das Spielzeug wieder so zusammengefügt, wie es sich gehörte. Aber ... etwas fehlte, etwas war vielleicht auch zuviel. Von dieser Nacht an hatte sich alles verändert, unmerklich zunächst, dann immer stärker. Die Musik verfiel; bis zu jenem Punkt, in Larissa, da Dymas nicht einmal mehr imstande war, einfache Tanzmelodien so zu spielen, daß einfache Landleute zuhören oder ihn wenigstens erdulden mochten. Dymas verfiel; Kitharist, Sänger, Reisender, geheimer Kundschafter, Mann, bis er nicht mehr reiste, sondern getrieben wurde, bis die Machenschaften der Spitzel und ihrer hohen Herren ihn mit Furcht und Abscheu erfüllten, bis ihn Mut und Manneskraft verließen, bis zuletzt nur ein wimmerndes Wesen irgendwo in ihm übrig war und das schnöde Geschäft des bloßen Überlebens betrieb.
Dann dachte er an Olympias: Königin, Priesterin, Hexe – wie man sagte. Hetaira. Todesspinne, Meisterin der üblen Ränke. Dies und mehr. In jedem Menschen gab es mehrere Wesen – auszubilden oder zu unterdrücken, zu spalten oder harmonisch zusammenzufügen, zu nutzen oder zu mißbrauchen. Fünf, sieben, zehn: vielleicht mehr, vielleicht weniger. Wie viele Seelen, wie viele Wesen war Arridaios gewesen, bis Olympias den kleinen Knaben vergiftete, um seinen möglichen Herrschaftsanspruch auf Alexander zu übertragen?
Arridaios mochte den Schwachsinnigen spielen, um zu überleben, aber er war etwas anderes: ein einziges scharfsinniges Wesen, hart, unbeugsam, ohne Schatten und Nischen, und dieses Wesen wollte dauern. Hatte Olympias die anderen Wesen, die Arridaios einmal besessen hatte, wie den Thronanspruch auf Alexander übertragen?
Alexander, König der Makedonen, Herr der zehntausend Wesen, alle mit Lichtseiten und Schattenseiten – zweimal zehntausend, nein, mehr, denn alle besaßen Abstufungen, Abtönungen, überraschende Feinheiten, konnten mit anderen zusammenschmelzen. Beherrschte er sie, beherrschten sie ihn?
Hatte der König Dymas auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, um dabei etwas zu entfernen, etwas, das er selbst brauchte, oder von dem er mehr brauchte als alle anderen? Eine geheimnisvolle, körperlose Sache, einen Stoff, die zehntausend Wesen zu beherrschen? Einen Stoff, dessen Fehlen dazu führte, daß die fünf oder sechs Wesen, die Dymas ausmachten, nicht mehr zu beherrschen waren, sich voneinander trennten wie die Räder einer Maschine, wenn man den einen Bolzen löst, der sie verbindet?
Diese wahnsinnige Überlegung führte zu anderen, denen Dymas nicht nachgehen wollte, die sich aber wie selbständig entwickelten. Von Hephaistion sagte man, er sei immer schon hochmütiger Sohn aus makedonischem Adel gewesen, in den letzten Jahren aber immer hochmütiger geworden. Von anderen jungen Männern, hetairoi des Königs, Offiziere des Heeres, sagte man, sie veränderten sich schneller, als es selbst bei gewaltigen Erlebnissen in solch kurzer Zeit üblich sei. Was machte Alexander mit seinen Gefährten – was geschah mit Hephaistion, wenn er des Königs Lager teilte – was machte Alexander aus den Männern des Heers?
Wieder und wieder dachte Dymas diese Gedanken, bis er sich wie eine aufgeblähte Kuh fühlte, die keinerlei Gedärm besitzt und dazu verflucht ist, all das ewig wiederzukäuen, was andere nach geziemender Zeit ausscheiden und vergessen. Er wußte, als Handwerker der Töne und Wörter, daß man ein beliebiges Wort – Mond, zum Beispiel – so lange wiederholen kann, bis es nichts mehr bedeutet, bis nicht mehr die wachsende und schrumpfende Leuchtscheibe der Nächte, sondern nur noch hohle Töne bleiben. Hatte er denn nicht selbst zwischen Abydos und Larissa millionenmal Dymas gesagt, bis nichts mehr blieb?
Etwas gab es, das er als Ton- und Wortwerker kannte und gemäß der Verwendung schätzte oder mißbilligte: Symmetrien. Der gleichmäßige Aufbau und Abbau eines Verses, die Umkehrungen und Spiegelungen und Wiederholungen der Töne, die Wiederkehr von Grundmustern in einer Geschichte? In einem Bild, einem kunstvollen Teppich?
Ja, aber nicht in Wirklichkeit. Zu vielschichtig, zu verwickelt, zu viele Menschen und Umstände. Ähnlichkeiten, aber keine genauen Wiederholungen. Oder doch? Waren all die Dinge, die er erfahren, erlebt, erlitten hatte, an die er sich klar oder verschwommen erinnerte, die er sich gegenüber zugab und Aristoteles gegenüber schriftlich niedergelegt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher