Alexander
einem! Sieh nur, wie er sich bläht und schaukelt! Niemand klatscht, niemand jubelt –«
Philipp in seiner gotteslästerlichen Aufmachung fuhr durch eisige Stille. Hätte wenigstens einer gelacht! Aber mit unerbittlichem Schweigen besah man sich seine größenwahnsinnige Ausschweifung. Da niemand sie komisch fand, wurden immer widerlicher seine spaßigen Gesten. Er schien schwer betrunken, sonst hätte er sich nicht so unanständig bewegt.
In dieser Sekunde, da die Peinlichkeit sich bis zum Unertragbaren gesteigert hatte, sprang, wie aus dem Boden gewachsen, ein eleganter Schwarzverhüllter auf das Trittbrett des Wagens, kaum daß man ein Messer aufblitzen sah, sank der König auch schon, brüllte dumpf auf, dunkles Blut besudelte das vergoldete Holz seines Gefährtes. Der Wagen blieb nicht sofort stehen, er fuhr noch einige Schritte. Philipp, der, das Messer in der Kehle, spuckend, röchelnd und blutend zur Erde hing, wurde geschleift, sein Haar fegte den Staub, seine komische Maske verschob sich. Darunter sah man plötzlich sein kreidig weißes Gesicht mit angstvoll klaffendem Munde.
Der Schrei, der aus der Menge aufstieg, klang ebensosehr nach Erleichterung wie nach Entsetzen. Jeder hatte gefühlt, daß diese Tat in dieser Sekunde hatte geschehen müssen – denn wie hätten die nächsten Sekunden sonst vorbeigehen sollen! –, trotzdem flogen zum Mörder, den Soldaten gepackt hatten, schon Flüche und Steine. Man riß ihm das Tuch vom Gesicht, da war es Pausanias, den sie hielten. Mit rehbraunen, großen, völlig leeren Augen starrte er die an, die ihn fesselten. Er bewegte sich wie ein Schlafwandler. Sie wollten ihn ins Gesicht schlagen, aber sie rührte sein schreckensbleiches junges Antlitz, seine ratlose, dumme und verzweifelte Schönheit.
Alles floh durcheinander, aus dem Gebrüll und Gefluche der Männer sprangen spitz die hysterischen Schreie der Weiber. Schamlos war es, wie die Griechen sich freuten: sie jubelten, warfen die Arme: »Er ist tot, Philipp ist tot!« Am liebsten wären sie mit ihrer frohen Botschaft gleich bis nach Athen gelaufen. – Mitten im Chaos bemerkte niemand, daß die arme kleine Kleopatra, die vergessene Braut, mit winzigen, dünnen Schreien in Ohnmacht sank. Um so vernehmbarer klagte Kleopatra, die Ältere, Philipps eigentliche Witwe. Üppig, wie in ihren schwelgerischen Freuden, trieb sie es auch im Schmerz: prächtig zusehen, wie sie das Haar raufte, am Gewand zerrte, weiße fette Brüste verzweifelt schüttelte; aufheulte mit groß geöffnetem Mund, hinsank, um nur noch stattlicher und tragischer sich wieder aufzurichten, ganz klagende Königin im sorgfältig verwüsteten Faltenwurf ihrer Gewänder.
Sogar die alten Generale hatten den Kopf verloren, sie stampften, wetterten durcheinander. – Unbeweglich stand allein Alexander, den die Freunde umringten. Mit einem abwesenden, aber geheimnisvoll strahlenden Blick schaute er dem Pausanias nach, den man fortschleppte. Dann ließ er den Blick, der immer noch strahlte, auf dem Vater ruhen, dem man die Maske abgenommen, Blut und Schmutz weggewischt hatte. Provisorisch war er auf dem goldenen Wagen gebettet, der ihm zur letzten anstößigen Lustpartie hatte dienen müssen. Über die Leiche warf sich Frau Kleopatra, wobei sie mit schönem Schwung die weißen Arme breitete. – Alexanders Blick, der dies alles prüfte, wurde immer kälter und undurchdringlicher.
Ganz allmählich entstand auf seinem ruhigen Gesicht das Lächeln. Die Freunde schrien immer enthusiastischer um ihn herum: »Es lebe Alexander, unser junger König! Unser junger König lebe – lebe –!« Auf diese Rufe hin lächelte Alexander, aber noch nicht für das Volk, sondern für sich, ganz verzaubert.
Da sie ihn auf ihre Schultern hoben, grüßte er seine Menge zum erstenmal mit der weiten, strahlenden Gebärde. Viele klagten noch, um die Leiche des Philipp geschart, aber die anderen grüßten schon den Jüngling, der jetzt ihr Führer war. Vor allem die Zwanzigjährigen wandten sich schnell von dem Toten. Diese grüßte Alexander mit seinem siegesgewissen Winken, seinem Lächeln, welches ihnen göttlich schien.
Als er irgendwo auf feste Erde wieder zu stehen kam, berührte einer zart, aber fest seine Schulter. Er wandte sich, da sah er in grauschillernde, lustige und tiefe Augen. »Komm!« sagte Kleitos zu ihm. »Es ist deine Mutter, die dich dringend erwartet!«
V
Olympias empfing den Sohn allein und feierlich in der gewölbten Mittelhalle des
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