Alexander
überaus Wortgewandte, den altgewordenen Sonnengott Ré überlistete. Sie berichteten von allerlei heiligen Tieren, ihrem Einfluß und ihrer Macht; dann, mit grauenerfüllter Andacht, vom Totenreich, von seinen wunderlichen, aber strengen Sitten und Gebräuchen; auch von den Hilfsmitteln, Amuletten und Zaubersprüchen, mit denen man sich vor Übeln beschützt.
Alexander erkundigte sich, forschte und fragte; er war von unersättlicher Neugier. Wie war das mit dem Himmel über ihren Häupten? Man konnte ihn als enorme ehrwürdige Kuh betrachten, auf der die Göttlichen sich häuslich eingerichtet hatten, andererseits aber war er ein riesiges Weib, das täglich unter Wonnen und Qualen Sonne, Mond und Sterne gebar.
Alles mischte sich, vieles ging geheimnisvoll durcheinander. Auch die großen Götter waren oft nicht voneinander zu unterscheiden.
Wenn es Abend wurde, sprachen die gescheiten Jünglinge mit Wehmut von den Zeiten, da die Pharaonen noch in gottbegnadeter Herrlichkeit über das Nilland regiert hatten, um im Allerheiligsten das Hohe Wesen anzubeten. Wie lange, sagten die unterrichteten Knaben betrübt, wie sehr sehr lange waren diese Zeiten dahin und wieviel grausame Fremdherrschaft war seither über das Reich des Osiris gekommen. Nun war es zu spät geworden, man lehnte sich nicht mehr auf. »Unser Land ist alt«, sagten die jungen Knaben mit Wehmut.
Um sie von ihren Kümmernissen abzulenken, fragte Alexander wieder nach dem Amun, zu dessen Heiligtum sie unterwegs waren; sie erzählten, wie er auf geweihtem Kahne vom Lande der Äthiopen zum hunderttorigen Theben gekommen, wie lang war es her; wie in Theben seine Macht und Herrlichkeit stark angewachsen sei, vor allem, da er im Laufe der Zeiten eine gewisse hochzeitliche Verquickung mit dem Ré eingegangen; wie er von Theben nach der heißen Wüste zog, um auszuruhen in der Oase, und dem suchenden Fremdling, wenn er würdig war, sich zu offenbaren in rätselhafter Gestalt.
Was konnten die Führerknaben, wenn sie auch noch so klug und melancholisch waren, über das eigentliche Wesen des vielnamigen Gottes sagen? Es war unergründlich. Sie meinten, er sei auch dem Zeugungsgotte Min von Koptos verwandt; es zeigte sich aber, daß sie ihn mit allem und jedem verwandt meinten, vor allem auch mit dem Osiris. Seine Gemahlin war Mut, die höchst Zauberkundige und Gute, die im mondsichelförmigen Teiche wohnte; beider Sohn war kein anderer als der Mondgott.
Über so viel frommen, freilich nicht immer klaren Gesprächen und Untersuchungen verloren sie Richtung und Pfad. Da es keinen Weg gab, nur heißer, hassenswerter Sand wehte, glaubten sie sich beinah verloren. Aber der Geheimnisvolle selber sandte ihnen große, weiße Vögel, die krächzend und wegweisend vor ihnen herflatterten. So hatten sie keine Angst mehr, im Kreise zu gehen. Es fiel auch gutes Wasser vom Himmel, der blau und wolkenlos blieb; sie empfingen es mit dankbar aufgemachten Mündern, denn sie waren am Verdursten gewesen.
Am selben Tage erreichten sie die Oase, wo friedlich Olivenbäume und Dattelpalmen gediehen. Das Heiligtum lag in schöner Ruhe, in seiner Nähe flossen Quellen, die voll heilsamen Salzes waren.
Zur Ziegelmauer, die den Gebäudekomplex umgab, führte, breit und sonnenbeglänzt, der Gottesweg, den Tier- und Sphinxfiguren einfaßten. Alexander verbat sich Begleitung; er ging mit andächtig gesenktem Haupt allein die Straße hinunter, stand allein vor dem Tor, das zwei breite Türme flankierten.
Der ihm öffnete, war ein verhüllter Diener, der sich tief vor ihm bückte. Im säulenumgebenen, weiten Vorhofe erwartete ihn der Hohepriester, der im Schauen Große, ganz und gar Eingeweihte, Psammon.
Der junge König neigte sich über die gebrechliche Hand, sie zu küssen. Über ihm sagte die uralte und erfahrene Stimme, die behindert durch weißen Bart kam:
»Der Gott grüßt dich, mein Sohn.«
Der hintere Saal, für intimere Veranstaltungen bestimmt, war mit bunten Zeichen und Symbolen ausgemalt, auch voller Figuren; Alexander verstand nicht eine von ihnen.
Psammon, der ihm Früchte und Getränke vorsetzte, sagte mit dem nachdenklichen Blick, den alte Verwandte haben, wenn sie Familienähnlichkeiten konstatieren: »Du hast die Augen deiner Mutter, mein Sohn.«
Alexander fragte, ehrlich erschrocken: »Kanntet Ihr denn meine Mutter?« Worauf der Greis lächelnd nickte.
Verwundert schwieg Alexander. Dann erkundigte er sich, ob er Fragen stellen dürfe, wogegen der Alte nichts hatte.
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