Alexander
anzurichten?«
Er sah, wie drüben die Hockende auf dem Lager sich reckte.
Von den Schultern fiel ihr Gewand, der Nacken leuchtete, und die Brüste. – Er blieb am Eingang, wo die Zeltvorhänge gerafft waren. Seine Gedanken wurden schmerzlicher und verwirrter. »Ich kann nicht«, dachte er, »oder darf ich nicht? Warum darf ich denn keinen Sohn haben? Warum darf ich sie nicht anfassen? Warum darf ich nur anfassen, um zu töten? Ach, den ich am liebsten angefaßt hätte, den habe ich ja getötet –«
Sie hörte ihn aufklagen, da rief sie mit einer vor Mitleid singenden Stimme noch einmal seinen Namen. Er aber war nicht mehr im Zelt. Ihn hatte schon die Nacht mit Wind und Einsamkeit empfangen.
Die Roxane, die sich ihm in dieser Nacht geoffenbart hatte, sah er nicht wieder. Die er zu Gesichte bekam, war nur noch die Strenge, Angespannte, Eisigkalte. Sie trug ihre Nase wie eine Waffe, unter bunten Augenlidern war ihr Blick der eines berechnenden Raubtiers. Gegen den König zeigte sie sich von vernichtender Höflichkeit, zeremoniell in jeder Bewegung: wie sie schritt, das Gesicht senkte, die komplizierte Frisur trug, mit harten Lippen böse und exakte Worte bildete.
Eine kurze Zeit lang versuchte Alexander um sie zu werben, gleichsam um Entschuldigung bittend. Es erwies sich, welch absurdes Unterfangen dies war.
Einmal lachte sie fürchterlich, da er sie küssen wollte. Sie schrie lachend, mit aufgerissenem Mund und geschlossenen Augen. Lachend wandte sie sich und lief fort.
Seit dieser Szene hielt sich Alexander ihr fern. Das Abenteuer schien für ihn abgeschlossen, er wandte sich seinen strategischen und politischen Angelegenheiten zu.
Wie immer nach seinen intimsten Niederlagen, schien er nach außen hin gewachsen, herrschsüchtiger und unerbittlicher denn je. Er tyrannisierte seine Umgebung, verhängte härtere Strafen als früher, ausgeklügelte orientalische Foltern.
Abends befahl er den kleinen Bagoas in sein Zelt. Der nahte sich mit schmalen, listig süßen Augen im gemalten Lärvchen. Alexander wandte sich ihm müd entgegen.
»Da bist du«, sagte er matt. »Komm doch näher. Hast du denn immer noch Angst vor mir?«
V
Es war in einem unheimlich halb erleuchteten Keller, wo sich die aufsässigen Pagen nächtens mit Kallisthenes trafen; fast ausschließlich griechische Knaben, ihr Anführer, der ehrgeizig geschmeidige Hermelaos, gehörte einer der vornehmsten athenischen Familien an.
Sie begrüßten sich feierlich, mit Kuß und ausführlichem Handschlag. Keiner von ihnen war älter als sechzehn Jahre, mancher von einer vollendeten Schönheit, so vollendet, daß sie rührend wurde. Sie liebten sich untereinander, beinah jeder war der Freund und Liebling eines jeden gewesen.
Außerhalb ihres schwärmerischen Bundes, allein stand Kallisthenes, der Literat; gleichzeitig war er ihr Oberhaupt. Sie verehrten ihn um seiner gewandten hellenischen Bildung, um seiner bravourösen Wortgewandtheit, auch um seiner Verwandtschaft mit Aristoteles willen; vor allem imponierte ihnen seine unnachgiebige Opposition gegen Alexander.
Er trat unter sie, sein Blick flammte, wie der seiner Kollegen auf dem Marktplatz zu Haus, sein beweglicher, schon etwas ausgeleierter Mund, der an den des großen Onkels erinnerte, öffnete sich zur Rede.
»Er treibt es zu weit!« donnerte Kallisthenes, dabei stampfte er mit dem Fuß. Die Knaben lauschten, mit Augen von finsterer Entschlossenheit unter den jungen Stirnen. »Der Begriff der Freiheit, der unser höchster war, ist ihm ein Spott und ein Gelächter geworden«, erklärte ihnen ihr Führer. »Daß er sogar von uns, von Hellenen, nun den Kniefall verlangt, vollendet das scheußliche Bild. Wir dürfen länger nicht zusehen, griechische Knaben! Eine Tat erwartet die Geschichte von uns!«
Den Jungen lief es eiskalt den Rücken hinunter, sie drängten sich scheu aneinander. Was die Tat sein mußte, wußten sie schon, es war grauenhaft und erhebend.
Hermelaos als erster gewann Fassung wieder. Er trat mit elastisch tänzerischen Schritten in ihren Kreis, freilich glühte es hektisch auf seinen Wangen. »Wir müssen uns Schweigen schwören«, raunte er mit hysterischer Feierlichkeit.
Sie begingen die Zeremonie des Schwurs, indem sie sich alle in die weichen Arme schnitten, Blut in eine Schale rinnen ließen, über der sie Formeln und Versprechen murmelten.
Einigen wurde übel. Die anderen drängten sich ehrfurchtsvoll um Kallisthenes, der mit großer Geste die Blutschale hielt.
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