Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Behandlung bessergeht und sein Zustand sich stabilisiert hat, sollte er die Chance bekommen, das mit einigen Worten gegenüber den Eltern der Kinder zu erklären. Außerdem würde ich bei der Gelegenheit auch gerne mit Ihnen persönlich einen Interview-Termin vereinbaren.«
»Ein Interview?«
»Ja. Sie sind jetzt seit einem Jahr Leiter des Luisenstifts, und ich plane eine Serie über die großen Wissenschaftler der Stadt von damals bis heute. Sie wären überrascht, wen wir da alles vorzuweisen haben. Sie haben für Ihre Forschungen den Leibniz-Preis erhalten und gelten als einer der führenden Psychologen, der mit seiner modernen Sichtweise für einen Umbruch steht. Es geht um jeweils eine komplette Seite in der Wochenendbeilage, und zwar überregional«, sagte Marlon und achtete auf die Betonung, dass er die Serie
plane
– nicht, dass er sie auch schreiben werde. Solche Feinheiten gingen gewöhnlich unter. Die Menschen nahmen nur wahr, was sie wahrnehmen wollten: Über sie und ihre Heldentaten würde mit Foto berichtet werden. Eitelkeit war Marlons Lieblingssünde.
»Ach«, antwortete Engberts geschmeichelt, »wissen Sie, Herr Kraft, über mich ist schon so viel geschrieben worden, und ich publiziere regelmäßig in Fachzeitschriften. Ich weiß wirklich nicht, ob ich daran Interesse habe.«
Jetzt den Wurm an den Haken.
»Unsere Leser aber schon. Und es ist immer gut, auf Alleinstellungsmerkmale hinzuweisen, und das Luisenstift gilt ja als Leuchtturm in der medizinischen Landschaft. Ich bin mir sicher, dass Ihre Geschäftsleitung erfreut darüber wäre, wenn eine Sonderseite an die zuständigen Stellen im Ministerium gelangt, bei denen die Anträge auf Landeszuschüsse für Ihren großen Anbau liegen. Zwölf Millionen Euro sind ja ein Wort. Und nach meinen Informationen gibt es im Stadtrat ein Problem, weil der Luisenpark ein Baudenkmal ist, ein Landschaftsschutzgebiet angrenzt, es keinen Bebauungsplan gibt, der Flächennutzungsplan von 1956 datiert und der Klinik-Bedarfsplan fortgeschrieben werden müsste. Bestimmt ist es da sinnvoll, die Stadt und die Kommunalpolitiker noch einmal auf die Bedeutung der Klinik hinzuweisen.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Marlon hörte das Zwitschern von Vögeln und malte sich aus, wie Engberts in seinem weißen Arztkittel am offenen Fenster saß, weit hinten auf dem Stausee die weißen Punkte kleiner Segelboote in der Sonne tanzten, er die Barthaare am Hals kratzte und die Stirn in Denkfalten legte.
»Sie sind clever, Herr Kraft«, sagte Engberts und zog die Worte in die Länge.
»Das hat nichts mit Cleverness zu tun. Hier geht es nur um das Leserinteresse. Dass das etwas Positives für Sie mit sich bringt, liegt in der Natur der Sache.«
Quid pro quo. Ein simples ökonomisches Prinzip. Gibst du mir, gebe ich dir. So läuft das eben nun mal, Doc.
»Ich habe ein Gespräch in der anderen Leitung«, seufzte Engberts. »Kommen Sie heute Nachmittag doch kurz in mein Büro, dann besprechen wir das schnell persönlich. Ich werde versuchen, mich freizuschaufeln.«
In der Welt des Understatements galt das als ein klares »Ja«. Zufrieden legte Marlon auf. Jetzt galt es nur noch, eine andere Sache zu regeln. Marlon las eine Nummer aus seinem Handyspeicher und tippte sie ins Redaktionstelefon. Er ließ es etwa zehnmal klingeln, bevor am anderen Ende abgehoben wurde.
»Computerecke, Heiko hier.«
»Heiko. Hier ist Marlon. Ich will dich gar nicht lange aufhalten …«
»Die Antwort ist: Nein.«
»Heiko …«
»Keine Chance. Ich mache das nicht mehr.«
»Es ist nur eine Kleinigkeit.«
»Ich mache das nicht mehr. Außerdem bin ich noch auf Bewährung. Die haben ganz neue Geräte, wenn irgendwer meine Signaturen entdeckt und sieht, dass ich wieder dabei bin, dann …«
»Heiko, es ist nur eine E-Mail-Adresse. Mehr nicht. Nur eine E-Mail-Adresse.«
»Die Antwort ist: Nein.«
»Ich brauche übrigens ein neues Laptop, vielleicht hast du was Schönes da? Und ich könnte mal mit Marcus sprechen, die haben in der Behörde bestimmt auch mal wieder Bedarf, und in Fachfragen könnten die dich doch als Spezialisten anrufen. Das wirkt sich bestimmt positiv aus, ehrlich.«
Heiko seufzte genervt. »Eine E-Mail-Adresse?«
»Ja.«
»Ist das was Heißes? Wenn es auch nur lauwarm ist, dann …«
»Ist es nicht«, unterbrach Marlon. »Rein privat. Wirklich.«
Heiko seufzte erneut. »Okay, aber nur dieses eine Mal und nur, weil du es bist.«
»Natürlich.« Marlon
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