Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
ein Kompliment: Sie sprechen ja besser Deutsch als ich.«
»Kunststück«, sagte Tsoukas und zuckte mit den Achseln. »Ich habe eine doppelte Staatsbürgerschaft. Mein Vater hat ein Restaurant in Bielefeld.«
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35 .
W ährend Kriminalhauptkommissar Rolf Schneider in der griechischen Sonne sein kühles Bier genoss und Kriminaloberkommissar Stephan Reineking auf dem Weg nach Düsseldorf zur Feststellung eines Tatverdächtigen darüber nachdachte, dass er lieber an Schneiders Stelle wäre, statt sich durch den Verkehr auf der A 2 bei Wuppertal zu schlängeln, stiegen Polizeipsychologin Alexandra von Stietencron und Kriminalkommissar Mario Kowarsch aus dem silbergrauen Vectra und betraten die Lobby der vollklimatisierten
Neuen Westfalenpost.
Am Empfang wies ihnen eine walkürenhafte Mittfünfzigerin den Weg zum Fahrstuhl, der sie in das Heiligste der Zeitung beförderte. Das aus den sechziger Jahren stammende Gebäude war innen mit Millionenaufwand auf einen Medientempel des neuen Jahrtausends getrimmt worden.
Die Nachrichtenredaktion thronte seit jeher im obersten Geschoss – über den Lokalen, über den Anzeigenabteilungen und der Geschäftsstelle, über dem Sport und auf einer Ebene mit der Wirtschaftsredaktion. Aus in der Decke eingelassenen Boxen säuselte dezent das Mittagsprogramm von Radio 107 , 7 , an dem die
Neue Westfalenpost
zu vierzig Prozent beteiligt war, und als die Fahrstuhltür sich öffnete, gelangten Alex und Kowarsch auf einen langen Flur, dessen Wände mit historischen Zeitungsseiten in Bilderrahmen behängt waren. Unterbrochen wurde die Galerie von vereinzelten Yucca-Palmen, die nicht im allerbesten Zustand waren.
Alex zog die Griffe der über die Schulter gehängten Handtasche zurecht. Sie war deutlich schwerer als üblich, weil sich heute außer dem üblichen – wohlsortierten – Mix aus Deoroller, Geldbörse, Lippenstift, Handy, Autoschlüssel, einer Packung Tempos, drei Not-Tampons, einer Rolle Mentos, der Kripo-Marke, der Klarsichthülle mit Einkaufsquittungen zum späteren Abheften, zwei Parfümproben, der Sonnenbrille und einer Dose Pfefferspray auch eine Walther P 99 darin befand, und sie würde nicht zögern, wenigstens das Pfefferspray gegen Mario Kowarsch einzusetzen, sollte dieser sich auch nur einen dummen Spruch erlauben.
Marcus hatte angewiesen, dass die beiden als Team losfahren sollten. Weder Kowarsch noch Alex waren darüber sonderlich erfreut gewesen, und so hatten sie sich den größten Teil der Fahrt zu dem Medienhaus über angeschwiegen. Immerhin ließ sich der Kerl auf diese Art und Weise einigermaßen aushalten, was Alex von seinem nach Ingwer riechenden Parfüm nicht sagen konnte. Auf halbem Weg hatte Kowarsch geseufzt, dass er mal besser mit seiner Freundin auf den Malediven geblieben wäre, anstatt gleich in einen solchen Fall katapultiert zu werden, aber bald würde er ja eh Papa werden und sich ein Jahr Elternzeit gönnen. Abgesehen davon, dass Kowarschs Freundin genauso bekloppt sein musste wie er, sich offenbar hochschwanger noch eine Malediven-Reise anzutun, konnte Alex sich in keiner Weise vorstellen, dass einer wie Kowarsch mit dem Kinderwagen durch die Straßen schuckelte und Windeln wechselte. Aber war es nicht schon immer so gewesen, dass sich die Doofen vermehrten, während intelligente Menschen dazu verdammt waren, sich allenfalls mit einem faulen Kater abzugeben?
Zur späten Mittagszeit war die Redaktion wie leergefegt. Aber einer würde in jedem Fall da sein: Kraft. Er hatte Alex auf dem Handy angerufen – natürlich nicht ahnend, dass sie Kowarsch im Schlepptau haben und eine Verabredung zum Rendezvous im Vernehmungsraum überbringen würde.
Die Tür zu Krafts Büro stand einen Spaltbreit offen, und die beiden Ermittler traten ohne anzuklopfen ein. Der Reporter sah noch schlechter aus als bei der Pressekonferenz. Die Haare wirkten speckig, dunkle Schweißflecken hatten sich in sein Hemd gesogen, das Gesicht war aschfahl. So gesehen passte er ganz gut in das Chaos aus Zeitungen, Unterlagen, Faxen, Büchern, Kartons, leeren Kaffeetassen, Aktenordnern, Wasserflaschen, Seitenausdrucken und dem überquellenden Aschenbecher, der für einen beißenden Nikotingestank sorgte. Kraft hing nach vorne gebeugt an der Tastatur und fixierte den Computermonitor mit zusammengekniffenen Augen. Als er Alex und Kowarsch bemerkte, huschte ein abschätziges Lächeln über seine spröden Lippen, und er deutete wortlos auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
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