Alex nahm Platz und stellte die Handtasche auf ihrem Schoß ab, während Kowarsch »Tach« nuschelte und sich hinter Alex aufbaute.
»Hätte ich mir ja denken können, dass Sie Geleitschutz mitbringen. Na ja …«, murmelte Kraft, griff nach einer Kaffeetasse und trank einen Schluck.
»Herr Kraft …«, begann Alex.
»Marlon.«
Waren sie schon so privat? Aber gut. »Okay, also Marlon. Kommen wir direkt zur Sache.«
»Nun.« Mit zitternden Händen rieb er sich über das Gesicht. »Es gibt da einige Dinge, die ich wissen muss.«
Kowarsch schmunzelte gelangweilt, und Alex funkelte Marlon an. »Sie verkennen die Situation.«
Kraft hob die Augenbrauen. »Inwiefern?«
»Es gibt in erster Linie einige Dinge, die wir von Ihnen wissen müssen.«
»Aha …«
Kowarsch räusperte sich. »Bringen wir es auf den Punkt, Kraft«, sagte er. »Sie haben nicht nur Sandra Lukoschik gekannt, Sie kannten auch Juliane Franck, das zweite Mordopfer. Die Überwachungskameras in dem Getränkemarkt haben ein Gespräch zwischen Ihnen aufgenommen, in dessen Verlauf Sie Telefonnummern austauschen. Außerdem wurde Ihr Ausraster gefilmt. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass das aus unserer Sichtweise ein eigentümliches Bild ergibt. Zudem sind Sie am Mordabend mit Sandra Lukoschik essen gewesen. Weder das eine noch das andere haben Sie der Polizei mitgeteilt, obwohl es mehrere Chancen dazu gab. Nun, da fragen wir uns: Warum?«
Marlon knibbelte an seiner Unterlippe und schien durch Alex hindurchzusehen. »Wird das hier eine Vernehmung?«
»Lenken Sie nicht ab, Kraft«, antwortete Kowarsch ungehalten. »Wir können das auch gerne in der Kaserne fortsetzen, und je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee.«
Kraft lachte auf. »Sie kommen hier in die Redaktion einer Tageszeitung, um mich zu vernehmen, Herr …«
»Kowarsch.«
»Ist Ihnen klar, dass solche Methoden nach 1945 in Deutschland abgeschafft worden sind? Schnallen Sie so in etwa, wo Sie sich befinden?«
»Okay.« Kowarsch atmete tief durch. »Nehmen wir ihn mit, Alex.«
»Warte noch.« Alex hob eine Hand in der Hoffnung, Kowarsch wieder etwas zu beruhigen, der entweder gerade damit begonnen hatte, das »Guter Bulle, böser Bulle«-Spiel einzuleiten, oder aber tatsächlich von Marlons überheblicher Art angepisst war.
»Das hat keinen Zweck, wir nehmen ihn mit«, wiederholte Kowarsch.
Marlon schoss in seinem Stuhl nach vorne und warf dabei fast die Kaffeetasse um. »Vorwitziger Polizist tritt Pressefreiheit mit Füßen!«, spie er aus. »Soll das Ihr Chef morgen lesen, ja, soll er das, Kommissar Kowaldt?«
»Kowarsch«, verbesserte Kowarsch.
»Mir egal.«
»Marlon«, schaltete sich Alex ein, »ich kann verstehen, wenn Sie verärgert sind. Aber das hilft uns im Augenblick nicht weiter. Wir haben es hier mit zwei Mordfällen zu tun, und die Fakten sind nun einmal so, wie sie sind. Also können wir es einfach oder kompliziert machen. Ich wäre für den einfachen Weg.«
Kraft fuhr sich durch die Haare und seufzte. »Ja, sicher habe ich die beiden gekannt, was Sie ja nicht überraschen wird. Mit der einen hatte ich was. Mit der anderen hätte ich möglicherweise was gehabt. Aber das kann hier nicht die Frage sein. Die Frage muss sein, wer die Nächste ist und was ich mit ihr zu tun haben könnte und wie viele noch an die Reihe kommen, darum sollte sich die Polizei kümmern – und nicht darum, Fakten zu bestätigen, die sie eh schon kennt.«
»Die Nächste?«, fragte Alex.
Marlon schob ihr wortlos die Ausdrucke von den E-Mails über den Schreibtisch, die in der zeitlichen Reihenfolge von der neusten bis zur ersten E-Mail geordnet waren. Sie alle stammten von der Adresse
[email protected] Scheinbar hatte Kraft seine Meinung geändert und sah keine Veranlassung mehr, die Schreiben zurückzuhalten. Alex überflog die Papiere und schluckte. Die Inhalte, der Stil – sie musste sich das in aller Ruhe ansehen und reichte die Ausdrucke an Kowarsch weiter, der zu lesen begann.
»Okay.« Kowarsch faltete die Mails zusammen und reichte sie an Alex, die die Papiere in ihrer Handtasche verschwinden ließ. »Wir werden den Absender überprüfen und …«
»Haben Sie mal geantwortet?«, fragte Alex.
Kraft nickte. »Ich wollte von dem Arschloch wissen, was er sich bei seinen Mails denkt, wer er ist und was er von mir will. Er gab aber keine Reaktion. Kunststück – Selbstgespräche per E-Mail sind irgendwie sinnlos.« Er neigte sich nach vorne und klopfte mit