Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
geschobenen Sonnenbrille zusammengehalten, die braunen Beine steckten in löchrigen blauen Jeans, dazu trug er helle Leinenturnschuhe und ein weit aufgeknöpftes hellblaues Hemd, unter dem üppige Brustbehaarung hervorschoss.
»Tach«, ächzte Schneider und streckte dem Mann die Hand hin. »Schneider, Kripo Deutschland.«
»Willkommen.« Der Mann entblößte eine Reihe makelloser Zähne. »Dimitrios Tsoukas. Kriminalpolizei Vathy.«
»Vatti?«
»Unsere wunderschöne Hauptstadt. Willkommen auf Samos, Herr Kollege«, ergänzte Tsoukas in akzentfreiem Deutsch.
Vathy war tatsächlich eine reizvolle Stadt, wenn auch nicht ganz so schön wie die Orte, die sie auf dem Weg dorthin passiert hatten. Vor allem Kokkari hatte Schneider ins Schwärmen gebracht. Weißer Kieselsand, der in türkisfarbenes Wasser überging, das sich in tiefem Tintenblau verlor, weiße Häuser mit ebenso blauen und türkisfarbenen Holzfensterläden, vor denen kleine Tische und Korbstühle standen und an deren verwitternden Fassaden purpurfarbene Bougainvilleen rankten.
»Mensch, ist das schön bei euch!«, hatte Schneider auf dem Beifahrersitz gerufen und sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn gewischt. »Und ich habe nicht mal eine Badehose dabei. Das sieht ja aus wie auf Postkarten.«
»Kein Wunder«, hatte Tsoukas lachend geantwortet, »die meisten werden ja auch hier in Kokkari und auf Santorin gemacht.«
Vathy schmiegte sich wie ein Schwalbennest an die Steilhänge einer großen Bucht. Von oben waren die großen Hafenanlagen kaum zu erkennen, dafür aber die sanften Hügel der türkischen Küste im fernen Dunst, die an einer Meerenge nur drei Kilometer entfernt lagen und Grund für die militärischen Sicherheitszonen der Insel waren. Enge Straßen und Gassen führten in steilen Serpentinen hinunter zum riesigen Halbrund des Hafenbeckens, an dessen Scheitelpunkt das Polizeipräsidium lag.
In dem kleinen Kafenion unweit des historischen Gebäudes trank Schneider jetzt unter dunkelgrünen Sonnenschirmen ein frisch gezapftes Heineken und betrachtete im Lärm der Mopeds, Kleinlastwagen und Busse ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das wie ein weißer Wal durch die Hafeneinfahrt glitt.
Sein Handy riss ihn aus den Träumereien. Reineking gab ihm weitere Infos über diesen König. Klang nicht gut, war nicht nur ein mutmaßlicher Mörder, sondern auch noch ein potenzieller Irrer. Schneider beschloss wie gewohnt, lieber die Situation abzuwarten, als sich vorher den Kopf zu zerbrechen. »Erstens kommt eh immer alles anders, und zweitens, als man denkt«, pflegte er zu sagen.
»So«, sagte Schneider und stellte das leere Bierglas auf den Alu-Tisch. »Jetzt bin ich wieder aufnahmefähig.«
»Prima«, lächelte Tsoukas, der vor etwa einer halben Stunde der Präfektur einen Besuch abgestattet hatte, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen, und eben mit dem Autoschlüssel in der Hand wieder herausgekommen war. »Die ganzen Unterlagen«, erklärte er, »habe ich im Wagen, die können Sie mir unterwegs unterschreiben – oder wenn Ihr Mann verhaftet ist. Wir treffen uns mit zwei Polizisten in Ireon, wo Roman König sich eingemietet hat. Zum Abendessen ist er gewiss zurück. Im Moment ist er mit einem Mietwagen unterwegs – wahrscheinlich irgendwo in den Bergen, die Klöster besichtigen.«
»Um zweiundzwanzig Uhr muss ich wieder in meiner Maschine sitzen«, sagte Schneider und folgte mit den Augen einem Teller voller Souflaki und Suzuki, den der Kellner am Nebentisch servierte. »Leider.«
»Das sollte kein Problem sein. Der Mann ist verdächtig, seine Freundin umgebracht zu haben, wenn ich recht verstehe? Muss ein ziemlicher Dummkopf sein, dann in Urlaub zu fahren.«
»Tja.« Schneider fächelte sich mit der Speisekarte Luft zu. »Der hat wohl Panik bekommen und wollte noch mal das Meer sehen, bevor es hinter schwedische Gardinen geht. Oder er war bloß zu geizig, seine Buchung zu stornieren. Wie ich soeben erfahren habe, ist der Flüchtige unter Umständen auch psychisch krank und derzeit nicht zurechnungsfähig – was einen nicht wundert, wenn man sich anschaut, was der für ein Massaker angerichtet haben soll.«
»Immerhin hat er Ihnen einen Kurzurlaub beschert, Herr Schneider«, lachte Tsoukas.
Schneider lupfte die Augenbrauen. »An dieser Stelle jedenfalls ein ausdrückliches Dankeschön für Ihre Kooperationsbereitschaft, dass wir das auf kurzem Weg alles so schnell und unkompliziert regeln können, Herr Tsoukas. Und
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