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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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kaum leserliches handschriftliches Briefchen:
     
    Deinem schwarzen Schatten und Elend
    Weihe ich mein Leben.
     
    Ein Chapman-Verehrer bis zum Schluss. Und bilden Sie sich nur nicht ein, ich hätte den Titel dieses Gedichts vergessen: Der Schatten der Nacht . Oder die Männer, die ihn dazu inspiriert haben mochten.
    Und bilden Sie sich vor allem nicht ein, ich hätte Alonzos letzte Nachricht vergessen: Die Schule der Nacht ist wieder zusammengetreten.
    Zwei Tage nach seinem Sprung wurde sein schwarzer Joseph-Abboud-Trenchcoat, beschmiert mit seinem Blut, auf Bear Island angespült. Wer Alonzo kannte, wusste, dass dieser Regenmantel praktisch seine zweite Haut war. Denn er trug ihn natürlich bei jeder Witterung und ging ohne ihn nicht einmal zur Toilette. Ein paar Wochen später bewegte Richter Wax die langjährigen Kollegen am Bezirksnachlassgericht, den Verschollenen für tot zu
erklären. Kurz darauf folgte die offizielle Sterbeurkunde, und endlich durfte die Welt um Alonzo Wax trauern.
    Und ich musste mir immer wieder dieselben Fragen stellen: Wer könnte die Schule der Nacht wieder einberufen haben? Wer waren die Mitglieder? Und gehörte das zu ihrem Lehrplan? Dass Alonzo sich das Leben nahm?
    Vor allem eine Frage ließ mich nicht los. Wäre alles anders gekommen, wenn ich ihn nach seinem verfluchten Anruf zurückgerufen hätte? Was hätte mich diese simple Handlung gekostet? 
    Das alles hatte still in mir genagt … und dann nahm mich auf der Gedenkfeier für Alonzo ein älterer britischer Gentleman namens Bernard Styles beiseite und zerrte mit wenigen Worten alles aus den Schatten hervor.
    Die Schule der Nacht war wieder zusammengetreten, und ich tappte immer noch ziemlich im Dunkeln.
    » Henry. «
    Lilys Stimme schlang sich um mich wie eine Garrotte.
    »Ob du«, sagte sie, »deinen Tagträumereien nachhängen könntest, wenn du allein bist?«
    Sie hatte die Akten zur Seite geschoben und saß mit fest verschränkten Unterarmen da.
    »Erzähl mir von Bernard Styles«, sagte ich.
    Sie sah mich lange an. Sagte:
    »Was möchtest du wissen?«
    »Keine Ahnung. Ist er seriös?«
    Sie schwenkte ihre Serviette. »Mitglied im Grolier Club. Reicher als hundert Sultane zusammen. Würde sein Leben für einen Shakespeare-Quarto geben. Macht ihn das seriös?«
    Dann erzählte sie mir, Styles sei durchaus kein Unbekannter, sondern vielmehr einer der angesehensten Bibliophilen Großbritanniens. In seiner Anfangszeit habe er sich auf Johnson und Boswell geworfen, da dort aber nicht mehr viel zu holen gewesen sei, habe er sich später auf Elisabethiana verlegt. Über die Quelle seines Reichtums wisse man nichts Genaues, aber er sei so liquide, dass er noch nie etwas aus seinem Bestand habe ver
äußern müssen, um neue Anschaffungen zu tätigen. Angeblich lagerten in seinem georgianischen Pfarrhaus Bücher und illustrierte Handschriften im Wert von etlichen zehn Millionen Pfund, aber mit Gewissheit könne man das nicht sagen, da die Sammlung nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sei. Der Queen sei gelegentlich eine private Führung gewährt worden, und Gerüchten zufolge sei Styles für den Order of the British Empire nominiert.
    »Die Queen ist das eine «, sagte ich. »Aber was hielt der King von ihm?«
    »Du meinst Alonzo.«
    »Ja. Wie war sein Verhältnis zu Styles?«
    Lily klopfte auf den Tisch. »Kompliziert«, sagte sie. »Wie zu allen anderen auch. Nur noch schlimmer.«
    Im Grunde, sagte sie, handele es sich um einen philosophischen Konflikt. Alonzo machte Jagd auf Bücher, weil er aus ihnen lernen wollte. Bei Styles war es die bloße Jagdlust. »Es gab da einige Plänkeleien«, sagte Lily. »Die Snowden-Sache hat Alonzo ihm natürlich nie verziehen.«
    »Erzähl mal.«
    »Ach Gott, das war vor zwei, drei Jahren. Cornelius Snowden, ein alter Freund von Alonzo, hatte einen kleinen Bücherstand in der Nähe von St. Paul's. Eines Abends ging er im Postman's Park spazieren und ward nie mehr gesehen. Jedenfalls nicht lebendig.«
    »Er wurde überfallen?«
    »Aber es ging nicht um Geld. Das Einzige, was sie ihm weggenommen haben, war seine Erstausgabe von Stows Annales .«
    »Und was hatte Alonzo dabei Styles vorzuwerfen?«
    »Er wusste, dass Styles hinter dieser speziellen Ausgabe her war. Natürlich nicht als Einziger. Es wies auch nichts auf Styles als Auftraggeber eines Raubmords hin. Die Polizei hat ihn nicht einmal befragt, es war nur – Alonzo und sein Übereifer.«
    »Aber es verschaffte Alonzo ein Motiv«,

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