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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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Feuerwerke und Kanonen, Purzelbäume und Jongleure, Turniere und Theateraufführungen und Maskenbälle braucht er nicht. Seine Zurückhaltung geht so weit, dass er sogar seine Königin daheim lässt (was für ihn freilich keine große Härte bedeutet). Er macht einen Besuch, weiter nichts.
    Aber wenn ein König kommt, gibt es Arbeit. Ein Tisch muss hergerichtet, ein Menü muss ersonnen, es müssen Musiker verpflichtet werden. Neue Livreen müssen bestellt, die Pokale aus Muranoglas müssen gereinigt und die Oberflächen in allen Räumen spiegelblank geputzt werden. Tapisserien, Teppiche, Linnen und Porzellan müssen bereitgestellt und ein ganzer Flügel von Syon House geräumt werden zum Plaisier der königlichen Reisegesellschaft.
    Und darin ist das Ereignis selbst noch gar nicht einkalkuliert, für das alle Diener benötigt werden, die der Earl erübrigen kann. Sogar Margaret kehrt – für einen Abend und mit Master Harriots Einverständnis – an ihren alten Arbeitsplatz in die Spülküche zurück. Wie bizarr dieser Ort ihr jetzt vorkommt. Das war gewiss nicht ich , denkt sie, während sie die alten Herde anschürt, Böden und Tische scheuert, Geschirr und Besteck wäscht und Abfall hinausträgt, das muss ein anderes Mädchen gewesen sein, das hier geschuftet hat .
    Aber ihre Glieder finden sich in die Tätigkeiten ein, als wäre sie nie weggewesen, und da ihre Arbeit auf wenige Stunden befristet ist, findet sie sogar Gefallen daran und verliert sich darin, bevor der Trompetenstoß, der sechs Minuten vor acht ertönt, ihr den besonderen Anlass ins Gedächtnis ruft.
    Und dann hört sie das Klappern der Töpfe und das Geschrei der Köche und die Kommandos der Lakaien und Hausmädchen. Sie wird den Einzug des Königs nicht sehen. Sie wird Lady Percys tiefen Knicks nicht sehen und das feierliche Willkommensgedicht nicht hören, wird auch die knisternde Spannung nicht spüren, als König und Earl Seite an Seite, unverwandt lächelnd, in die große Halle schreiten.
    Die Verschiedenheit der beiden Männer ist nicht zu leugnen. Seine Majestät versenkt sich in Theologie und Poesie, der Earl in Naturwissenschaft und Philosophie. Der König ist ein Schotte; die Familie des Earls hat über Generationen Jagd auf Schotten gemacht. Noch ärger, der Earl hatte sogar einmal erwogen, Lady Arbella Stuart zu ehelichen, eine Verbindung, die Jakob womöglich die englische Krone gekostet hätte.
    Und dennoch: war es nicht der Earl, der dem neuen König in einer Geste der Anerkennung bis nach Enfield Chase entgegenkam? War es nicht der Earl, der zur Rechten des Monarchen in London einritt? Lassen wir die Vergangenheit ruhen. Vorläufig – in dieser milden, von Motten durchschwirrten Nacht – gelingt es dem Earl und dem König mit Hilfe von spanischem Wein, fettem Fleisch, Gebäck und Ingwerkuchen, von ihren alten Differenzen abzusehen und fast als Freunde voneinander zu scheiden.
    Und indem sie das tun, bilden sie so etwas wie einen leuchtenden inneren Kern in diesem ganzen Spektakel. Ein Spektakel, auf das Margaret erst aufmerksam wird, als ihre Arbeit getan ist. Darüber ist es zwei Uhr nachts geworden, und rings um sie herum ist so viel Licht, dass es ganz England zu illuminieren scheint. Alle Zimmer im Haus sind hell erleuchtet, unter zwei parallelen Reihen von Fackeln erglüht ein Fußweg zum Fluss, auf dem Wasser leuchtet die königliche Barke und, sie umringend, eine Armada von Kähnen und Skullbooten und Lichtern, alle vor Anker liegend, ein Flammenmeer aus Lichtern. Und jedes Licht findet sein Spiegelbild im Wasser und ein weiteres Licht, das ihm vom Sternenhimmel antwortet.
    Eine prächtige Helligkeit und, dahinter, ein einziges Wort.
    Brechung .
    Licht trifft auf einen Körper, und dieses Zusammentreffen verändert das Licht und enthüllt den Körper für immer. Die Struktur, die unter der Oberfläche aller Dinge liegt , das waren die Worte des Meisters, und schon damals haben sie Margaret wie ein Versprechen ergriffen. Und wenn das Versprechen erfüllt wird, so wie es jetzt geschieht, wenn man spürt, wie man an die Haut der Welt gepresst wird, durch ihre Poren schauen kann … wo findet man die Worte für so ein Erlebnis?
    Eben noch konnte sie sich kaum mehr auf den Beinen halten, und jetzt läuft sie so schnell, wie ihre zerschrammten Füße sie tragen. Sie will es ihm sagen. Er muss doch wissen, dass nichts, was sie in seiner Gesellschaft getan hat, müßig gewesen ist.
    Das Haus des Meisters steht, anders als seine

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