Algebra der Nacht
mir auf den Fersen und kritzelte irgendwas in eine linierte Kladde.
Ich hab mir nichts dabei gedacht, aber am nächsten Tag bei der Auktion fiel mir auf, dass jedes Stück, für das ich ein Gebot abgab – mirabile dictu – einen zweiten Bieter hatte. Und zwar immer denselben. Taschen, so tief wie seine Unverschämtheit. Der Tag war noch nicht herum, da hatte der Auftraggeber dieses Maulwurfs, ein Mister Bernard Styles, mir jeden einzelnen Band weggeschnappt, den ich auf dem Kieker hatte. Völlig unakzeptabel, das brauche ich dir nicht zu sagen.«
Alonzo hatte bis zur nächsten Bloomsbury-Auktion gewartet. Und richtig, derselbe Mann mit dem federnden Schritt war wieder da, und Alonzo führte ihn an der Nase herum, blieb absichtlich vor den wertlosesten Angeboten im Katalog stehen. Tags darauf konnte er zufrieden zusehen, wie Bernard Styles Tausende von Pfund für Ramsch verschleuderte.
»Tja, und wieder einen Tag später bestellten seine Gnaden mich ein. War sehr bemüht, auf gut Wetter zu machen. Schenkte mir den Tee ein und alles, grad dass er mir nicht noch die Hühneraugen verarztet hat. Ob es mich umgestimmt hat? Nein. ›Wenn Sie noch mal meine Meinung einholen wollen‹, sagte ich, ›können Sie dafür zahlen wie jeder andere auch.‹ Darauf er: ›Sehr gern. Wie viel?‹ ›Für Sie ‹, sagte ich, ›bin ich nicht zu haben.‹«
»Hast du dich nie gefragt, was gewesen wäre, wenn … du weißt schon …«
»Was?«
»Wenn du ein bisschen netter zu ihm gewesen wärst, weiter nichts.«
»So ein Vorgehen empfiehlt sich bei Reptilien nicht. Die behält man scharf im Blick, und man hat eine scharfe Klinge griffbereit.«
Als die Lichter um uns herum eines nach dem anderen erloschen, beugte ich mich zu Alonzo hinüber.
»Wenn zwischen dir und Styles von Anfang an böses Blut war, warum hat er dich dann an seine Sammlung rangelassen? Warum hattest du überhaupt Kontakt mit ihm?«
»Das müsstest du inzwischen aber wissen, Henry. Sammler reißen nie alle Brücken ab. Das liefe unseren Interessen total zuwider. Und so hab ich ihm nach reiflicher Überlegung ein paar Knochen hingeworfen. Er warf mir ein paar Knochen zurück. Daraus entwickelte sich eine Herzlichkeit, die reine Fassade war. Auch wenn ich dadurch seine vulgäre Höflichkeit über mich ergehen lassen musste, das …« Er unterdrückte ein Gähnen. »Na ja, letztlich ist es das wert gewesen.«
Das ist es wert gewesen , dachte ich. Lily in einem Bunker erstickt. Amory unter dem Sand von Carolina begraben. Ich selbst mit großer Wahrscheinlichkeit unter Mordverdacht. Das ist es wert gewesen .
»Eins ist mir noch nicht klar«, sagte er. »Wenn Harriot sein Gold nicht in Virginia gefunden hat, wo dann? Er hat doch England nicht noch einmal verlassen, er ist praktisch nie mehr aus dem Haus gegangen.«
»Vielleicht hat Ralegh es ihm gegeben. Oder Northumberland. Ich meine, die beiden hatten doch zeitweise ganz schöne Probleme. Die Krone beschlagnahmte ihr Vermögen. Vielleicht wollten sie etwas behalten, für spätere Zeiten.«
»Aber auf der Karte nennt Harriot es › meinen Schatz‹. Du willst doch nicht andeuten, dass er Geld für sich abgezweigt hat?«
Falls es so war, dachte ich, hätte er sich erbitterte Feinde gemacht. Und dafür lieferten die Quellen keinen Beleg. Ralegh bezeichnete Harriot in seinem Testament als »Vertrauten & getreuen Freund« und vermachte ihm in einer Geste von liebenswürdiger Schrulligkeit »alle schwarzen Kleidergarnituren, die ich in demselben Hause habe«. Und was Northumberland betrifft, so war eine seiner ersten Taten, nachdem er den Tower verlassen hatte, der Erwerb eines Denkmals, das dem Andenken von Harriot gewidmet war. Falls die beiden sich jemals von ih
rem alten Lehrer betrogen fühlten, haben sie das vorzüglich kaschiert.
»Denkbar ist wohl noch etwas anderes«, sagte Alonzo.
»Nämlich?«
»Vielleicht erinnerst du dich, womit Thomas Harriot sich in den Jahren 1599 und 1600 befasst hat.«
In der Tat folgte Harriot demselben Sirenenruf, der so viele andere große Geister ins Verderben gestürzt hatte. Leibniz hatte ihn ebenfalls vernommen. Nicht anders Robert Boyle und Tycho Brahe. Und als Isaac Newton starb, träumte er nicht von der Schwerkraft oder dem Differential, sondern vom Stein der Weisen.
Diesen Männern ging es bei der Alchemie nicht bloß darum, aus Blei Gold zu machen. Alchemie war für sie Verwandlung. Wenn sie die Eigenschaften unbelebter Materie verändern konnten, ließ
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