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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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eisigen Hauch in der Luft … hörte die Wolken am Himmel rascheln … und, oh ja, das Haus erstrahlte im Goldglanz.
    Es glänzte vom Dach, von den Fenstern, durch die Türen, ja aus der Erde selbst. Barren und Münzen und Zepter und Diademe, die sich immer höher stapelten wie Weizen im Kornspeicher. Und mitten in dieser Fülle Harriot, mit betretener Miene.
    »Ich kann es nicht anhalten«, sagte er.

 

    33
    S ie waren schon da, als wir durch den Zoll kamen.
    Und schauten so erwartungsvoll, dass ich noch einmal hinsah, ob sie nicht Begrüßungsschilder hochhielten: Henry Cavendish. Clarissa Dale.
    Ihre Mienen ließen freilich nicht auf eine herzliche Begrüßung hoffen. Auch die Kleidung nicht: schwarze Maßanzüge aus leichter Wolle und schwarze Schuhe, an denen sogar die Schnürsenkelspitzen glänzten. Der kleinere der beiden hatte ein rotes Gesicht voller Aknenarben; er scharrte mit dem linken Fuß auf dem Boden wie ein Füllen auf der Koppel und beäugte uns mit leicht schräg gehaltenem Kopf, als hätte er uns bei einem Diebstahl erwischt. Der andere, groß und kräftig wie ein Westgote, war glatt rasiert, hatte eine milchkaffeebraune Haut und eine Miene wie ein Sarkophag, der sich plötzlich zu einem breiten Grinsen öffnete.
    »Willkommen!«, rief er. »Wie war Ihr Flug?«
    Clarissa blieb als Erste stehen, dann ich – aber der Westgote ging bereits auf Alonzo zu.
    »Mr. Spiegel .« Ein leiser Anflug von Ironie bei dem falschen Namen. »Ich bin Agent Mooney. Und das ist Agent Milberg. Und wir sind – oh, Moment, warten Sie!«
    Er kramte in seinen Taschen und zog einen laminierten Ausweis hervor.
    »Bedaure sehr. Interpol.«
    »Interpol«, echote Alonzo schwach.
    »Sie befinden Sie jetzt in sicherer Obhut, Mr. Spiegel, ich
möchte, dass Sie das wissen. Wir wollen kein großes Aufsehen machen. Keine öffentliche Vorführung.«
    »Keine Handschellen«, ergänzte sein Kollege.
    »So sind wir nicht. Wir wollen uns nur mit Ihnen unterhalten, danach können Sie fröhlich Ihrer Wege gehen. Die Sehenswürdigkeiten des singenden, klingenden London genießen.«
    Alonzo war inzwischen so weit zurückgewichen, dass er die Brust anschwellen lassen konnte wie ein Puter.
    »Ich bin sehr beschäftigt.«
    »Das ist mir bekannt.«
    »Würden Sie mir freundlicherweise sagen, worum es bei unserer kleinen Unterhaltung gehen soll.«
    »Ich kann jetzt nicht ins Detail gehen.«
    »Wo soll sie stattfinden?«
    »In der Zentrale selbstverständlich. Alles wird gut, Sie werden sehen.«
    Und dann klatschte er in die Hände und rief im Ton eines Ferienlagerbetreuers:
    » Wollen wir los?«
    »Und meine Freunde?«, protestierte Alonzo.
    »Oh!« Der Westgote drehte sich zu uns herum. »Die dürfen natürlich mitkommen.«
    »Klar dürfen sie«, sagte Agent Milberg.
     
    So höflich und geschmackvoll in Gewahrsam genommen zu werden, das konnte uns nur in England passieren. Nicht eine Stimme wurde erhoben, nicht eine Liebenswürdigkeit ausgelassen. Wir holten unser Gepäck vom Karussell, rollten es zum Bordstein, blinzelten im Licht des frühen Morgens und bestiegen schließlich ohne Widerrede eine Lincoln Limousine neuester Bauart, schwarz-metallic glänzend, die Sitze mit Lordosenstütze samt programmierbarer Massagefunktion, das Lederpolster so jungfräulich, dass es vor der Berührung mit uns zurückwich.
    Clarissa hatte sich in der Mitte des Rücksitzes eingerichtet. Von uns dreien war sie die Einzige, die das Geschehen nicht völlig resigniert hinnahm.
    »Ich war zwar noch nie in England«, sagte sie. »Aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir nur ein paar Meilen außerhalb von London sind und dass Sie Interpol sind, setze ich zehn Dollar darauf, dass Sie uns ins Sekretariat fahren.«
    Ihr Wettangebot schien nicht recht nach vorn durchzudringen. Agent Milberg, der sich auf dem Beifahrersitz lümmelte, blieb es überlassen, zu murmeln:
    »Stimmt.«
    »Oh, nein, nein, warten Sie«, sagte Clarissa und fuchtelte mit dem Zeigefinger. »Das Generalsekretariat von Interpol befindet sich in Lyon. In Frankreich. Gott weiß, was ich da wieder gedacht hab.«
    Sie verstummte, wirkte jetzt aber ziemlich angespannt, wie ein Ballon, der vor dem ersten Pieks der Nadel nachgibt.
    Aus irgendeinem Grund sah ich just in dem Moment zum Fenster hinaus. Ich erwartete natürlich, dass wir auf der M4 in östlicher Richtung nach London fuhren. Tatsächlich fuhren wir auf der A312, einer Fernstraße, nach Norden . Unterwegs zu einem unbekannten Ziel.
    Da

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