Algebra der Nacht
halbgeschlossenen Augen und kreidebleichem Gesicht, der am ganzen Leib zitterte wie Espenlaub.
»Ich will ja keine Panik verbreiten«, sagte Clarissa. »Und Sie haben nicht gefragt, aber ich glaube, ich sollte Ihnen doch sagen, dass er kurz davor ist, in ein diabetisches Koma zu fallen. Schon eine ernste Angelegenheit.«
»Alonzo«, murmelte ich und berührte ihn an der Schulter. »Alles wird gut. Halte durch.«
»Er braucht sein Insulin, okay? Wir müssen anhalten.«
Auf Agent Milbergs mürrischem Gesicht zeigte sich die erste Unruhe. Er warf einen Blick auf Alonzo, dann auf seinen Partner und drehte sich langsam wieder um.
»Schauen Sie«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, dass dieser Mann hier stirbt, auf dem Rücksitz Ihres Wagens, gut. Ich bezweifle aber, dass Interpol darüber erfreut wäre.«
Da ich keine Antwort erhielt, erhob ich die Stimme ein wenig.
»Lebend ist er deutlich mehr wert als tot.«
Immer noch keine Reaktion. Ich wollte gerade einen anderen Kurs einschlagen, als Agent Mooney leise fragte:
»Wo hat er sein Zeug?«
»In seinem Koffer«, sagte Clarissa. »Ich kann es holen.«
» Ich kann es holen«, sagte ich.
»Henry, bitte. Du findest doch nie etwas. Ich brauch eine halbe Minute dafür, höchstens.«
Wir starrten beide auf Agent Mooneys Hinterkopf und warteten auf ein Zeichen. Das aber kam vom Wagen selbst, der ohne vorherige Ankündigung links ranfuhr und in einer Schotterstaubwolke neben einem Abzugskanal zum Stehen kam.
»Sie haben eine Minute«, sagte Agent Mooney.
Und während Clarissa über mich zur Tür kletterte, fügte er spitzbübisch hinzu:
»Mein Partner hilft Ihnen gern.«
Das kam überraschend für seinen Partner, der die Stirn in Falten legte, bis er aussah wie ein Shar-Pei.
»Simon ist in diesen Dingen wirklich ein Ass«, sprach der Westgote mit kaum gezügelter Häme weiter. »Hab ich nicht recht, Simon?«
Ein leises Grollen entstieg Agent Milbergs Brust, als er seine Tür mit der Schulter aufdrückte, zum Heck des Wagens stakste und den Kofferraumdeckel aufklappte.
Die Angst, die ich mühsam unterdrückt hatte, überfiel mich wieder mit gehässiger Macht. Clarissa mochte es so lange hinauszögern, wie sie wollte, aber wenn sie Alonzos Gepäck durchkämmten, wussten sie früher oder später, dass keine Spritzen, keine Nadeln und kein Insulin darin waren.
Und das wäre für uns das Ende vom Lied.
Als lese er gerade meine Gedanken, rief Agent Mooney vom Fahrersitz nach hinten:
»Wehe, Sie führen uns an der Nase herum. Wo wir so freundlich und nett zu Ihnen gewesen sind.«
Anstatt zu antworten, löste ich meinen Sicherheitsgurt, zog mein Jackett aus und warf es Alonzo über den bebenden Oberkörper.
»Halte durch«, krähte ich. »Bloß noch ein paar Sekunden.«
Nur dass aus den Sekunden Minuten wurden und die Kofferraumklappe unverändert oben blieb. Und kein Mucks zu hören war.
»Also, erzählen Sie schon«, sagte ich und hörte selbst, wie dünn meine Stimme klang. »Arbeiten Sie schon lange für Bernard Styles?«
»Nie gehört den Namen«, sagte Agent Mooney.
»Oh, das ist seltsam, weil ich mir nicht denken kann, wer uns sonst würde sprechen wollen.«
»Ich kann dazu nichts sagen. Mann! «, stieß er hervor und drückte dreimal sacht auf die Hupe.
Sein Blick wanderte über den Rückspiegel, vor Missvergnügen legte sich sein glattes rundes Gesicht in Falten. Er brummte
leise vor sich hin. Trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Und als er es nicht mehr aushielt, ließ er mit einem Daumendruck die Scheibe herunterfahren, drehte den Kopf nach hinten und brüllte:
»Herrgott, Simon! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
Und sah sich im selben Moment einer Waffe gegenüber.
Einer Desert Eagle Halbautomatik, um genau zu sein. Die in Clarissa Dales kleinen weißen Händen noch größer aussah, als sie sowieso war.
»Würden Sie bitte«, sagte Clarissa kaum hörbar japsend, »aus dem Auto aussteigen.«
»Klar, mach ich. Klar doch, Süße.«
Seine eine Hand bewegte sich auf die Tür zu, um sie zu öffnen, die andere griff in sein Jackett.
»Hast ihm die Waffe weggenommen, was, Süße? Das war sehr clever.«
Sein Mantel wurde bauschiger, während er redete. Feinste Fingerarbeit, wie beim Lesen von Braille-Schrift, gefolgt von einer kurzen Pause, und dann kam seine Hand langsam wieder hervor.
»Schön vorsichtig«, sagte ich.
Normalerweise hätte ich gegen ihn keine Chance gehabt – ich brauchte beide Hände allein dafür, sein Gelenk zu
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