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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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nach Licht verlangt. Dass er begehrt, begehrt wird .
    Er zieht sie näher an sich. Spürt, wie sie die Beine spreizt, um ihn aufzunehmen. Nicht unterwürfig, sondern machtvoll, denn als sie fertig sind, kann er nur immer dasselbe Wort hauchen:
    »Bleib.«
    Aber ihre Antwort ist ewig die gleiche: »Es ist schon spät.«
    »Nur noch eine Stunde …«
    Sie gibt nicht nach. Und wie sie ihm fehlt, als sie fort ist! Das spartanische Bett, einst kaum groß genug für ihn, erscheint ihm nun gähnend leer. Das Leinen bewahrt ihre Gestalt, die Wolle ihren Geruch.
    Aber eines Abends nimmt Harriot eine alte Flasche spiritus dulcis mit ans Bett, und das Aroma aus Trauben, Rosen und Kandis übermannt ihn so, dass er sie in kleinen Tropfen über Margarets Leib dekantiert und die Tropfen nacheinander ableckt. Sie revanchiert sich mit derselben Salbung bei ihm, und noch ehe sie überhaupt zum Vollzug gelangen, sind sie Arm in Arm eingeschlummert.
    So findet sie tags darauf Mrs. Golliver, die wie ein Rabe mit blitzendem Auge und eisiger Miene hereingeflogen kommt.
    »Verzeihen Sie, Herr. Ich – ich dachte …«
    Am nächsten Nachmittag wird Harriot außerplanmäßig zu einer Audienz beim Earl of Northumberland einbestellt. Sie treffen sich in der Bibliothek des Earls, die sich über die ganze Länge des Nordflügels erstreckt, gemäß ihres Stellenwerts, den sie beim Earl genießt. Von hier bieten sich die besten Ausblicke auf den Fluss, doch man trifft den Earl stets in die Gegenrichtung bli
ckend, auf jene Bücherreihen mit den üppigen Einbänden aus Kalbsleder, den Bogen aus Vellum, den goldgeränderten Rücken, den vielfach annotierten Seiten.
    »Mir sind Dinge zur Kenntnis gebracht worden, Tom.«
    Sogar als er ihn anspricht, weicht der Earl nicht um ein Haar von der Stelle. Harriot muss zu ihm kommen.
    »Betreffen diese Dinge meine Assistentin?«
    »Ja.«
    »Ist die Quelle hierfür meine Haushälterin?«
    Der Earl wartet einen Moment mit seiner Antwort.
    »Es ist ein Murren in dem Haushalt, dem du vorstehst, Tom.«
    »Ich habe nie beansprucht, sein Herr zu sein.«
    »Und ich nicht deiner. Bei normalem Gang der Dinge würde mein Verwalter meinen Frieden nicht mit Meldungen von häuslicher Unruhe stören. In deinem Falle hat er eine Ausnahme gemacht.«
    »Es betrübt mich, dass ich ihm Kummer bereitet habe.«
    »Versteh mich, Tom, ich laste dir nicht an, wie es auf der Welt nun mal zugeht. Wie du lebst, ist deine Angelegenheit. Es schmerzt mich jedoch zu sehen, dass dein guter Name durch Gerüchte besudelt wird.«
    »Vielleicht ist mein Name nicht so gut, wie Ihr meint.«
    Der Earl betrachtet ihn. Zieht dann mit Bedacht einen eichenen Armlehnstuhl hervor. Lässt sich darauf nieder und bedeutet Harriot, sich ebenfalls zu setzen.
    »Es stimmt also.«
    »Dass jemand Anspruch auf mein Herz hat? Ja.«
    »Dein Herz.«
    Die Brauen des Earls ziehen sich zusammen. Seine Hand fährt zu seinen Lippen.
    »Wenn Kit dich jetzt sehen könnte, Tom …«
    »Ich hoffe, er würde mich nicht so sehen wie Ihr.«
    »Und inwiefern irre ich?«
    »Euer Gnaden glauben, dass ich mich für ein Mädchen von niedrigem Stand hergebe. Mehr im Unrecht könntet Ihr nicht sein. Margaret Crookenshanks besitzt einen so feinen – so fei
nen natürlichen Verstand, wie ich nur selten das Privileg hatte einen anzutreffen. Wenn Ihr die Geduld dazu aufbringt, könnte ich Euch einige der Wunder zeigen, die sie vollbracht hat.«
    »Doktor Dee hat große Wunder vollbracht. Herr Kepler, wie es heißt, ebenfalls. Ich glaube nicht, dass du für sie dieselbe Leidenschaft hegst.«
    Harriot faltet die Hände. Senkt den Kopf, wie um den Tadel des Schulmeisters entgegenzunehmen. Und hört umso überraschter den Earl milde sagen:
    »Sag mir, Tom.«
    »Ja?«
    »Ist es ein großes Wunder? Diese deine Leidenschaft.«
    »Die meiste Zeit ist es grausam, Euer Gnaden. Die meiste Zeit ist es wundersam. Und alles dazwischen.«
    Der Earl nickt, als sei er zufrieden. Erhebt sich dann und wendet sich ab.
    »In dem Fall schlage ich vor, du treibst deine Forschungen bis zu ihrem natürlichen Ende.«
    Harriot nimmt es für seine Entlassung, verbeugt sich und geht zur Tür. Die sonore Stimme des Earls lässt ihn einen Schritt vor der Freiheit anhalten.
    »Vielleicht erwägst du irgendwann ja, das Mädchen zu heiraten, Tom. Ich wäre der Letzte, der einen Einwand dagegen erhöbe, wenn ich einen Mund weniger zu füttern hätte.«
    Ein Moment vergeht, bevor er hinzufügt:
    »Der Ehestand kann auch

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