Alias XX
wurden.
Er würde Scotland Yard mit ins Boot holen – und die verdammte Heilsarmee, wenn’s sein musste. Er würde selbst mit Harriet Wall sprechen. Ihr Mann war die einzige Spur, die sie hatten.
Tom und Harriet standen in der dunklen, zugigen Straße vor der Wohnung des Fotografen. Tom zündete sich eine Zigarette an, während Harriet auf den Klingelknopf drückte. Nichts rührte sich, also begannen sie an die Tür zu pochen. Sie mussten den Mikropunkt vergrößern lassen. Ein Mädchen mit Haarnetz öffnete nebenan die Tür und sagte, dass manche hier zu schlafen versuchten. Harriet bat sie um Hilfe, ihr Ton war warmherzig, ihr Akzent so klar wie geschliffenes Glas. Das Mädchen zog den Morgenmantel enger und sagte ihnen, wo sie den Fotografen finden konnten.
Es war Mitternacht, als sie die U-Bahn-Station erreichten. Harriet erzählte Tom, dass sich in den Stationen, die während des Blitz als Luftschutzräume geöffnet worden waren, an den Wänden das Kondenswasser sammelte, Abwasser laufe in Rinnsalen unter ihren Füßen ab. Die Luft sei abwechselnd eisigkalt oder brütendheiß und voller schwarzer Mückenschwärme, die sich im Untergrund ungehindert vermehrten. Die Bahnsteige wären vollgestopft mit Kindern in Hängematten, die sich andauernd wegen der Läuse kratzten, weinenden Kleinkindern und Prostituierten auf Kundenfang.
»Es kam wegen der Taschendiebe und wegen öffentlichen Geschlechtsverkehrs sogar zu Unruhen«, sagte sie.
»Öffentlicher Geschlechtsverkehr«, sagte Tom. »Wie widerlich.«
Sie sah ihn scharf an, und er sagte nichts über das Picknick in Virginia, die Limonade und die Sandwiches, die Zuckerkekse …
Sie stiegen in den Schutzraum hinab. Dreifache Stockbetten mit dünnen blau-weiß gestreiften Matratzen und grauen Wolldecken waren aufgestellt. Koffer und Weidenkörbe waren ordentlich unter Tischen verstaut, auf denen Tassen, Krüge und Trinkwasserkühler standen. In einer Ecke gab es einen Ofen, ein Grammophon, und die Damentoilette war mit Weihnachtsschmuck verziert. Zwei kleine Mädchen, die unter ihrer Decke kicherten, wurden von ihrer müden Mutter zur Ruhe gemahnt. Ein älteres Paar teilte sich unter einer fadenscheinigen Decke das oberste Bett. Tom sah zu Harriet. Wo war das Abwasser, das Elend?
»Das war während der Luftangriffe«, sagte sie. »Es hat sich ein recht nachbarschaftliches Verhältnis entwickelt.«
Bald hatten sie Harriets Fotografen gefunden – einen drahtigen Mann mit fleischigen Lippen, der alles andere als angetan schien, dass er nun geweckt wurde. Harriet besänftigte ihn, und grummelnd kehrte er in sein Studio zurück, schloss die Tür auf, vergewisserte sich, dass die Verdunkelungsvorhänge dicht waren, und schaltete das Licht an.
»Dunkelkammer«, sagte er. »Die ganze Stadt ist eine einzige Dunkelkammer.« Er unterzog den Mikrofilm einer kursorischen Begutachtung. »Kann ich das machen? Natürlich kann ich das. Brauch aber einen Projektor, muss irgendwo in diesem Chaos noch einen Recordak haben.« Er ging zielstrebig auf eine Kiste zu und schob die Fotografie zwischen zwei kleinen Glasplatten in den Projektor. Und zeigte Harriet, wie alles funktionierte: »Nehmen Sie sich vor grellen Lichtpunkten in Acht.« Er wies auf die Birne, den Wärmefilter und den Schirm hin. »Manche haben lieber blau-weiß, aber bernsteinfarben-gold strengt die Augen nicht so sehr an. Wenn es nicht passt, können Sie hier justieren …«
Harriet dankte ihm, scheuchte ihn in das Hinterzimmer, bat ihn noch, sich bereitzuhalten, dann beugte sie sich über den Projektor. »Ja. Es handelt sich um Aufzeichnungen … in Deutsch.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und verlangte nach Papier und Stift. Tom gab ihr, was sie wollte, und sie übersetzte während des Abschreibens.
BETR.: Ü. AUF H AWAII , I NSEL K USHUA (P EARL H ARBOR ). K AISERLICHE J APANISCHE M ARINE , A DMIRAL Y AMAMOTO . V IZEADMIRAL N AGUMO .
M ARINESTÜTZPUNKT P EARL H ARBOR
1. G ITTERNETZ B OMBENABWURFGEBIETE VON FÜNF AUF
NEUN ERWEITERT . N EUE Z IELPUNKTE BEACHTEN .
2. M ILITÄRHAFEN – K AIANLAGEN . T ANKANLAGEN , L AGE DES T ROCKENDOCKS N R . I UND DES NEUEN T ROCKENDOCKS .
3. P LAN DES U-B OOT -S TÜTZPUNKTS UND DER E INRICHTUN -
GEN AN L AND .
4. T ORPEDO -S CHUTZNETZE INSTALLIERT ? D URCHSCHNITT -
LICHE G ESCHWINDIGKEITSVERRINGERUNG DADURCH ? E INZELHEITEN ZU IHRER K ONSTRUKTION .
5. S TÜTZPUNKT DER M INENSUCHVERBÄNDE . S CHLEPPNETZ - FISCHER IM …
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