Alias XX
Messer nach Toms Hand. Tom bäumte sich im Sessel auf, das Messer streifte ihn nur leicht am Unterarm. Wieder brüllte er, und Rugg packte Renard, zerrte ihn hinaus in die Dunkelheit und ließ die Brandschutztür hinter sich zukrachen.
Tom sackte im Sessel zusammen, dann kam ein weiteres Geräusch von der Tür. Das Schloss sprang auf, der Türgriff drehte sich, und beinahe hätte er laut aufgelacht. »Harriet?«
»Tom? Ich hab gehört … Großer Gott! Was um Himmels
willen …«
»Waren ein paar raue Tage. Bind mich los. Nein – sperr erst die Tür zu«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die Brandschutztür. »So, Harry! Stell den Sessel davor … Harriet, verdammt noch mal, mach, was ich sage! Ich hab mich nicht selbst gefesselt. Und jetzt die andere Tür. Sperr sie ab … Gut, danke. Und jetzt bind mich los.«
Sie musterte ihn, während sie die Knoten löste, bemerkte den Schnitt an seinem Arm, sein schweißnasses Gesicht. In ihren samtenen grauen Augen lag keinerlei Ekel vor der schwärenden Handfläche. »Du musst behandelt werden, Tommy. Das sieht ja schrecklich aus.«
Er betrachtete den Kratzer am Arm. »Muss nur ein wenig ausgewaschen werden.«
»Stell dich nicht so blöd. Du weißt genau, was ich meine.«
Rugg, der mit dem Absatz auf seine Hand getreten war, Sondeggers Bleistift, dessen Mine und Holzsplitter sich in die Wunde gebohrt hatten. »Ich brauch eine Dusche.«
»Es ist entzündet, Tom.«
Er zog eine Schublade auf und nahm sich ein frisches Hemd.
»Schon in Ordnung.«
»Tommy, du musst … Das ist Earls Hemd!« Sie sah in die Schublade. »Das sind alles Earls Hemden.«
»Ich hab mir ein paar Sachen von ihm geliehen. Nachdem ich das Zimmer gemietet habe.«
»Das Zimmer.«
»Ja.«
»Es ist deins?«
»Klar. Schau nicht so – ich hab’s nicht eingerichtet. Ich hab einen Platz zum Schlafen gebraucht.« Er hatte Harriet noch nie anlügen können, aber sie wollte ihm glauben. »Und was zum Anziehen.«
»Earl …«, sagte sie. »Er hat nicht …«
Tom schloss die Badezimmertür, bevor sie die Frage stellen konnte. Er begann zu zittern. Was, wenn sie es geschafft hatten? Wenn nun beide Hände infiziert waren? Das Zittern ließ nach. Er hatte endlich geschlafen. Er war okay. Nicht ganz diensttauglich, aber es würde reichen. Er wusch den neuen Schnitt aus. Hielt die offene rechte Hand unters Wasser, bis sie schmerzte. Trocknete sich, verband die Hand und zog sich an.
»Hilfst du mir mit der Krawatte?«, fragte er, als er die Tür öffnete.
Harriet hielt Renards Mantel auf Armeslänge vor sich und betrachtete den buntkarierten Stoff. Sie war weit weg. Ihre Mundwinkel hingen nach unten, die zarten Falten um die Augen hatten sich vertieft.
»Das ist nicht deine Größe«, sagte er. »Und ein Plaid mit Faltenwurf steht dir nicht.«
Sie war blasser als sonst. Fast ätherisch. Sie war seinetwegen gekommen.
»Harriet«, sagte er.
»Hmm?«
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Ich wusste es nicht. Ich hab Earl erwartet.«
»Großartig.« Dann kam ihm ein Gedanke. »Du hast von ihm gehört?«
»Ich hab eine Nachricht bekommen. Ich hatte Angst …« Sie legte sich den Mantel über den Arm. »In der Nachricht stand, es sei dringend.«
»Wer hat sie geschickt?«
»Mrs. Turnbull – meine Nachbarin – sagt, eine junge Frau habe behauptet, dass Mr. Wall mich bräuchte.«
»Was stimmte«, sagte er.
»Der Zimmerschlüssel war …« Sie bemerkte seinen Gesichtsausdruck. »Wer ist sie?«
»Eine Freundin.«
Das Mädchen hatte ihm ihr Herz zu Füßen gelegt, und er hatte sie schnöde abgewiesen. Sie hatte ihm ihre Geschichte erzählt und in seinen Armen geweint, und er … Hatte er sie Harriet genannt? Ja, das hatte er.
Er hatte ihre Freundlichkeit, ihr Lachen und ihre Offenherzigkeit zurückgewiesen, und trotzdem hatte sie Harriet zu ihm geschickt.
Das Mädchen wusste, dass er sich schmerzlich nach Harriet sehnte, wusste, dass er Harriet wollte, nicht sie. Also hatte sie Harriet zu ihm gebracht. Was für eine Frau.
»Eine Freundin«, wiederholte er. »Bist du glücklich mit Earl?«
»Ich wäre glücklicher, wenn er hier wäre.«
»Klar, aber – bist du, liebst du …«
»Ich bin«, sagte sie, »Tommy, ich bin glücklich, und ich liebe meinen Mann.«
Tom spielte mit seinem Feuerzeug. »Hab ich dir schon mal vom Sommer in Maine erzählt? Er hat mir beigebracht, wie man angelt, wie man schwimmt und taucht.«
»Und was davon machst du jetzt?«
Er versuchte zu grinsen. »Ich
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