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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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das, wenn er glaubt, Sie seien Earl?«
    »Vielleicht rutscht ihm was raus.«
    »Sondegger?« Davies-Frank fasste sich an die Nasenwurzel. Tom war labil, aber vielleicht brauchten sie ihn später noch mal. Je näher er an Sondegger herankam, umso besser. »Erinnern Sie sich an den Mann, von dem ich Ihnen erzählt habe, mit Decknamen Whiskbroom?«
    »In Berlin. Der Agent an höchster Stelle?«
    »Wenn Abendammer das Zwanziger-Komitee hochgehen lässt, wird seine Familie umgebracht. Vergessen Sie das nicht, Tom. Wir haben dank Ihnen jetzt eine Spur, vielleicht können wir den Funkspruch verhindern. Vielleicht können wir Whiskbroom retten und mit ihm Hunderte anderer Agenten, das ganze Doppelspiel-System. Aber denken Sie nicht so sehr daran, sondern denken Sie an Whiskbroom. Ein falscher Schritt, Tom, und seine Kinder werden sterben.«
     
    Es roch noch immer nach Scheiterhaufen. Der hölzerne Schreibtisch in dem Raum hinter der weißen Tür war abgeräumt, bis auf den Geruch deutete nichts mehr auf das Feuer hin. Das Papier war schnell und hell lodernd in Flammen aufgegangen und konnte leicht gelöscht werden. Tom erinnerte sich an die Hitze, die ihm ins Gesicht schlug, spürte, wie sie sich mit seinen Schmerzen und seiner Müdigkeit vermischte.
    Er klopfte sich gegen die Tasche, um eine Zigarette herauszuholen, während sich Davies-Frank auf dem Polstersessel niederließ. Musste sich daran erinnern, dass sie glaubten, Sondegger halte ihn für Earl. Nur so hatte er auch weiterhin Zugang zu ihm, nur so konnte er seinen Bruder aufspüren. Mit der Lehne nach vorn setzte er sich rittlings auf den Stuhl an Sondeggers Tisch und sah zur Matratze in der Ecke. Der Deutsche lag auf dem Rücken. Er hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und die Augen geschlossen. Seine Wangen waren rosig. Die Kette, die sich von seinem Fußknöchel zum Bolzen schlängelte, lag schwer auf dem Boden.
    »Im alten Athen«, sagte Sondegger, »bediente man sich des Ostrazismus, um zu verhindern, dass es zur Tyrannei kam. Es wurden Abstimmungen durchgeführt, und derjenige, der am meisten Stimmen auf sich vereinen konnte – der führende Politiker –, musste für ein Jahrzehnt ins Exil. Die Griechen besaßen ein tiefgehendes Verständnis von Politik, weil sie das Drama verstanden.« Er sprach weiter, ohne die Augen aufzuschlagen. »Während der Inquisition wurden mindere Häresien mit Auspeitschen oder einer Geldstrafe geahndet. Schwerwiegendere Vergehen wurden durch das gelbe Kreuz bestraft, das Zeichen der Schande – das war sozialer Ostrazismus. Der Entzug menschlichen Kontakts, Mr. Wall, ist eine ganz und gar grundlegende Form der Freiheitsberaubung. Sogar ein Monolog bedarf einer Zuhörerschaft. Kommen Sie näher.«
    »Ich bin nah genug.«
    »Es gibt Situationen, in denen man sich zur höflichen Konversation verpflichtet fühlen sollte.«
    »Ist es das, was Ihnen mit mir vorschwebt?«
    Sondegger schlug die Augen auf. »Es wird Ihnen nicht zum Schaden gereichen, wenn Sie mir gegenüber zumindest den Anschein von Höflichkeit wahren. Bitte, gesellen Sie sich zu mir.« Sondegger patschte auf die Matratze. »Heute kann ich Ihnen bedauerlicherweise keinen Rum anbieten.«
    Tom blieb auf dem Stuhl sitzen. »Das nächste Mal bring ich Kerosin mit.«
    »Sie haben sich den Inhalt des Kabinetts im Flur angesehen?«
    »Gummistiefel und Regenmäntel. Einige Hutschachteln.«
    »Um gut zu lügen, Mr. Wall, muss man an seine Lügen glauben. Es würde Ihnen gut anstehen, Ibsen zu studieren. Sie haben eine Frage? Eine Bitte?«
    »Ja.«
    Sondegger lehnte sich im Schneidersitz gegen die Wand. Sein rundes Gesicht war völlig faltenlos. »Setzen Sie sich zu mir, wenn Sie etwas zu sagen haben. Ich sehe keinen Grund, Rupert an unserer Konversation teilhaben zu lassen. Ich werde Sie nicht noch mal darum bitten.«
    Tom erhob sich, steckte sich die unangezündete Zigarette in den Mund und warf Davies-Frank das Feuerzeug zu. Er setzte sich auf die Matratze neben den Deutschen und kam sich ziemlich lächerlich dabei vor – vermutlich der Grund, warum Sondegger ihn dazu aufgefordert hatte.
    »Erinnern Sie sich an die dritterotischste Oper?«, sagte Sondegger. » Tristan und Isolde .«
    »Ich erinnere mich an das Feuer.«
    »Wer immer Sie verprügelt hat, er hat mehr Enthusiasmus als wissenschaftliche Gründlichkeit an den Tag gelegt.« Fast kokettierend besah sich der Deutsche Toms zerschundenes Gesicht. »Wundersam ist das Werk des ungebildeten Menschen. Nein? Es

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