Alias XX
Lieblingsdichter. Die Quelle schützen? Das hieß, den Verräter, den Überläufer schützen. Earl.
20
2. Dezember 1941, Nachmittag
Mit einem Ruck wachte Tom auf und bemerkte, dass er auf der falschen Straßenseite fuhr. Er geriet in Panik, riss das Lenkrad nach rechts, bis ihm einfiel, dass er in England war. Er steuerte zurück, verlor dabei fast die Kontrolle über den Wagen und stieg auf die Bremse. Der MG quietschte und brach hinten aus. Tom blinzelte. Der Wagen war mitten auf der Straße zum Stehen gekommen. Er war die Ruhe selbst. Er war großartig. Seine Lider waren schwer wie Blei. Dann war er wieder unterwegs, und wie aus dem Nichts ragte ein Pritschenwagen hoch vor ihm auf und donnerte vorüber. Der harte Windstoß zerrte an ihm. Der MG geriet ins Schlingern und steuerte direkt auf einen Graben zu. Tom umklammerte das Lenkrad und schaffte es, wieder auf die Fahrbahn zu kommen. Er musste sich konzentrieren. Die Straße war ein endlos sich windendes Band. Seit vier Tagen war er dem Schlaf nicht so nahe gewesen wie jetzt. Seine Augen brannten. Konzentrieren. Den Wagen auf der Straße halten. Sedgeware Bury. Noch mal links? Die endlose Straße, die endlose Last der Vergangenheit.
Davies-Frank schloss die Akte und starrte an die Decke. Sondegger war nicht ohne Grund in London. Jedes Wort von ihm, jede Geste dienten einem bestimmten Zweck. Er war nicht ohne bestimmte Absicht nach England eingeschleust worden, er hatte sich nicht ohne bestimmte Absicht den Feuerwehrleuten ergeben. Er hatte Abendammers Rendezvous-Informationen nicht ohne tödliche Hintergedanken preisgegeben. Wenn sie nur eine einzige gesicherte Tatsache über den Mann hätten. Wer war er vor dem Krieg gewesen? Woher kam er, wie war er ausgebildet worden, welchen Rang bekleidete er?
Die Tür ging auf, Highcastle trat ein und tupfte sich mit einem Taschentuch über die Brauen. Er hatte die Männer für den Einsatz am Abend instruiert, was ihm schnell zu einer eher körperlichen als verbalen Unternehmung geriet – seine Einweisungen waren explosive Ausbrüche voller Warnungen, Drohungen, strategischer Überlegungen.
»Sie haben die Männer mal wieder in Angst und Schrecken versetzt, um sie auf Trab zu bringen?«, fragte Davies-Frank. Highcastle grunzte. »Hab grad mit Farquhar gesprochen.«
Davies-Frank sah auf die Uhr. »Er ist noch immer da?«
»Seine Schicht war vor zwanzig Minuten zu Ende. Ist nicht abgelöst worden.«
»Wer ist zu spät dran?«
»Melville.«
»Könnte am Verkehr liegen«, sagte Davies-Frank, wenig überzeugt. »Zwanzig Minuten warte ich noch, dann ruf ich an.«
Highcastle grunzte erneut, es klopfte an der Tür, und er sagte: »Herein.«
Abrams trat ein. »Ihr Yank steht in der Einfahrt. Hübsch motorisiert. Meint, er müsse mit Ihnen mal kurz reden.«
»Er ist selbst gefahren?«, sagte Davies-Frank.
»Ja, Sir«, sagte Abrams. »Er ist allein.«
»Schicken Sie ihn rein.«
»Verhaften Sie ihn«, sagte Highcastle. Weil Tom sich auf der Fahrt zum Rowansea aus dem Staub gemacht hatte, weil er nach Hennessey Gate zurückgekehrt und ein Sicherheitsrisiko war, und weil er eine völlig unkalkulierbare Karte in ihrem Spiel darstellte. »Der Mann ist unberechenbar.«
»Ein Joker. Damit gewinnt man Spiele«, sagte Davies-Frank.
»Sondegger hat Wall in zehn Minuten mehr erzählt als uns in einer Woche.«
»Mehr was? Lügen?«
»Das werden wir heute Nacht erfahren. Die Männer wissen, was sie zu tun haben?«
»Alle bis auf einen.«
Davies-Frank ignorierte den Kommentar.
»Es gefällt mir nicht, Rupert«, sagte Highcastle, nachdem Abrams gegangen war. »Widerspricht unseren Dienstvorschriften.«
Das war erneut auf Davies-Frank gemünzt und dessen Teilnahme an dem bevorstehenden nächtlichen Einsatz. Damit hatte er zwar Recht, unvermeidlich war es trotzdem. » Es spricht nichts dagegen, Highcastle«, sagte er. » Not kennt kein Gebot .«
Highcastle sprach keine zwei Worte Deutsch, auch keine vier in Englisch, dafür aber sprach seine Miene Bände. Die Tür ging auf, und Tom Wall stand vor ihnen. Er trug eine erbsengrüne Billsby-Jacke mit rechteckigen schwarzen Knöpfen und ein hellblaues, am Kragen offenstehendes Hemd. Seine braune Hose war halb in die Armeestiefel gestopft. Sein Haar war zerzaust, ein Mundwinkel geschwollen, sein Gesicht aufgeschürft und verschrammt.
»Sie sollten erst den anderen Typen sehen«, sagte er. »Sie haben meine Nachricht erhalten?«
»Ihre Nachricht?«, sagte
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