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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Seite, drückte auf den Anlasserknopf und fuhr los. Der MG roch nach Harriet. Ihr Geruch hüllte ihn ein – ihr Duft, Sondeggers Stimme, Earls Verrat, seine eigene Müdigkeit. Highcastle hatte ihn ausgequetscht, bis nichts mehr aus ihm rauskam: Was hatte der Hunne gesagt? War der Treff für heute Abend bestätigt worden? Wo war Earl?
    Tom hatte gelogen, für nichts und wieder nichts. Für das Hirngespinst eines Mikrofilms in einem von Earls Büchern … Der Wagen wollte nicht auf der Straße bleiben. Rot und unförmig stand die Sonne am Himmel. Dünne Wolken streckten sich über den Horizont wie graue, blutdurchtränkte Gaze. Er befand sich auf einer schmalen Landstraße. Der Wagen rumpelte über einen grasbewachsenen Hügel; er riss am Lenkrad. Sein Gesicht schmerzte, seine Hand war taub. Er befand sich auf einer breiten, stark befahrenen Straße. Hupen ertönten. An einer Ampel auf einem Platz in der Stadt wurde er angehalten. Jemand trommelte gegen die Scheibe. Der kleine MG machte einen Satz nach vorn.
    Dann stand er auf dem Gehweg. Er schlängelte sich durch eine Reihe geparkter Wagen zu einer Treppe. Es gab keine Treppe. Er fragte jemanden nach »Tudor’s Dry Cleaning« – den Laden neben dem Waterfall – und stellte fest, dass er in einer Gasse stand, vor einer Doppeltür und einem hüfthohen Sandsackwall. Das Foyer drinnen hatte hohe Decken, cremefarbene Wände und einen rot-goldenen Teppich, der ihm vor den Augen verschwamm.
    »Sir, es sind Jackett und Krawatte erforderlich«, sagte der Türsteher.
    »Ich hab keine …«, sagte Tom. »Ich bin Earl Walls Bruder.«
    »Ja, Sir.«
    Tom sah zur schmalen Treppe. »Mein Jackett liegt in Earls Zimmer.«
    »Sie können nicht nach oben, Sir. Vielleicht wollen Sie mit Miss Pritchett sprechen?«
    »Mit Audrey?«
    »Ja, Sir.«
    »Nein. Ich lauf schnell nach oben, hol die Jacke und die Krawatte …«
    Der Türsteher gab sich ehrerbietig und aalglatt. Er sagte »Ja, Sir« und »Natürlich, Sir« und führte Tom zur Tür an der linken Foyerseite. Die falsche Tür – sie führte nicht zur Treppe, sondern zu einer anderen Tür, zu dem, was der Türsteher »die kleine Wohnung« nannte.
    Ein melancholisches rothaariges Mädchen reagierte auf Toms Klopfen. Sie trug einen bequemen Pyjama, der mehr betonte als verhüllte. »Vee scheint das Glück für sich gepachtet zu haben«, sagte sie leicht sarkastisch und trat zur Seite.
    Im Eingangsbereich stand ein weißer Mantelständer mit bunten Schals und Tüchern und einem dunklen Pelz. Darunter waren ordentlich drei Paar Glastonbury aufgereiht. Es gab einen langen schmalen Tisch und eine halb geöffnete Tür, durch die Tom eine winzige, saubere Küche erblickte. Durch einen Bogengang gelangte man in einen kleinen Raum mit himmelblauen Tapeten. In einer Ecke stand ein mit indischem Stoff überzogenes Sofa, eingezwängt von zwei niedrigen Armsesseln, die vor runden Kissen überquollen. Dazu ein zierlicher Teetisch und ein klobiges Klavier ohne Sitzbank, eine jadegrüne Pflanze, protziger Krimskrams und Kuriositäten. Es war ein gemütlicher, einladender, chaotischer Raum.
    Auf einem rubinroten Zweiersofa hatte sich Audrey wie eine Katze zwischen die Kissen gekuschelt. Sie war wie ein Mann gekleidet, trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd und eine alte Schulkrawatte. Das Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie brütete über einem Papierblock auf dem Schoß und knabberte mit ihren kleinen weißen Zähnen an der Kappe eines Stifts.
    Als Tom eintrat, veränderte sich ihr breiter Mund, ein lebhaftes Lächeln zeigte sich, bevor ihr die Mundwinkel zornig nach unten fielen. Ihr Blick verfinsterte sich, die Lippen wurden schmaler, und dann hob sie den Kopf, und auf ihre Wut folgte Nachsicht. Kurz huschte ein schelmisches Flackern über ihr Gesicht … dem dann Besorgnis folgte. Zwei Sekunden. Ein Dutzend Gefühle. Tom lächelte.
    »Ihr Gesicht!« Sie sprang auf und warf ihren Notizblock zu Boden. »Ach, Sie armes Häschen.«
    »Hab Ihnen doch gesagt, dass Earl der Hübschere ist«, sagte er.
    Sie strich ihm mit den Fingerspitzen über die Lippen und die Schrammen auf der Wange. »Mum hat immer gesagt, ›hübsch ist, wer was Hübsches macht‹. Soll ich Tee kochen? Wir haben eine schöne dicke Suppe – und die eingemachten Stachelbeeren, die ich in der Tombola gewonnen habe. Haben Sie geschlafen? Hier, setzen Sie sich. Es war ein großer Fehler, dass Sie gegangen sind.«
    Er sagte ihr, sie solle still sein. »Der Türsteher hat mir
erzählt

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