Alibi für einen König
Strange. Mary Woodville mit Lord Herberts Erben. Und John Woodville, der sich nicht geschämt hatte, die Herzogin-Witwe von Norfolk, die seine Großmutter hätte sein können, zu ehelichen. Es war gut, daß neues Blut die alten Familien auffrischte – neues Blut war immer eingesickert –, es war aber nicht gut, daß dieses Blut so plötzlich und wie ein Sturzbach aus einer einzigen Quelle kam. Das mußte in der politischen Blutbahn des Landes Fieber erzeugen, das war ein Fremdkörper, der schwer zu assimilieren war. Unklug und bedauerlich.
Immerhin konnte man mit einer langen Zukunft rechnen, in der dieser Zustrom gänzlich assimiliert werden konnte. Dann würde diese neue, plötzliche Macht ihre geballte Stärke verlieren, sich im politischen Körper verteilt haben und nicht länger mehr gefährlich und störend sein. Eduard besaß bei all seiner Liebenswürdigkeit viel versteckte Bauernschläue, er würde das Land auf jenem ruhigen Kurs weiterführen, den er beinahe zwanzig Jahre lang eingehalten hatte. Niemand hatte England jemals mit mehr Despotismus und mit einer leichteren Hand gesteuert als ihr hitziger, fauler, weiberhöriger Eduard.
Es würde schon alles gut werden.
Sie wollte gerade aufstehen und sich in die allgemeine Unterhaltung mischen – sie durfte keinen kritischen und hochmütigen Eindruck erwecken –, da kam ihre Enkelin Elisabeth atemlos und lachend herbeigelaufen und warf sich in den Sessel, der neben dem ihren stand.
›Ich bin zu alt für diese wilden Spiele‹, sagte sie, nach Atem ringend. ›Und außerdem verdirbt es meine Kleider. Gefallt dir mein Kleid, Großmutter? Ich mußte es von Vater geradezu erpressen. Er meinte, mein altes rostrotes Atlaskleid hätte es auch noch getan. Das ich anhatte, als Tante Margaret aus Burgund zu Besuch kam, weißt du noch? Man hat sein Kreuz mit einem Vater, der merkt, was die Frauen anhaben. Er weiß vielzuviel über den Inhalt unserer Kleiderschränke. Hast du schon gehört, daß der Dauphin mich ausgeschlagen hat? Vater tobt, aber ich bin so glücklich. Ich habe der heiligen Katharina zehn Kerzen geweiht. Es hat mich den Rest meines Taschengelds gekostet. Ich will nicht fort von England. Ich will England niemals verlassen. Kannst du mir dabei helfen, Großmutter?‹
Cicely lächelte und sagte, sie wolle es versuchen.
›Die alte Ankaret, die Wahrsagerin, behauptet, ich würde Königin. Aber da es keinen Prinzen gibt, der mich heiraten könnte, glaube ich das doch nicht.‹ Sie schwieg einen Augenblick und fügte dann leiser hinzu: ›Sie sagte, Königin von England. Aber ich glaube, sie war ein wenig angesäuselt. Sie trinkt gar zu gern Punsch‹.«
Es war von Miss Payne-Ellis unfair, um nicht zu sagen unkünstlerisch, auf Elisabeths Zukunft als Gemahlin Heinrichs VII. anzuspielen, wo sie doch in ihrem Buch die Unannehmlichkeiten und unerfreulichen Dinge, die es bis dahin zu überstehen gab, verschweigen wollte. Die stillschweigende Voraussetzung, daß ihre Leser von Elisabeths Heirat mit dem ersten Tudor-König wußten, besagte doch schließlich, daß sie auch von der Ermordung ihrer Brüder wußten. Und damit fiel über das festliche Schauspiel, das sie für das Schlußkapitel ihres Buches gewählt hatte, ein dunkler, ahnungsvoller Schatten.
Aber im großen ganzen fand Grant, war ihr das Buch prächtig gelungen, jedenfalls soweit er es bisher gelesen hatte. Vielleicht würde er es später sogar noch einmal zur Hand nehmen, um die Stellen nachzulesen, die er überschlagen hatte.
VII
G rant hatte an diesem Abend bereits seine Nachttischlampe ausgeknipst und war schon halb eingeschlafen, als eine innere Stimme zu ihm sagte: »Aber Thomas More war Heinrich VIII.«
Dies machte ihn hellwach. Er knipste das Licht wieder an.
Natürlich hatte die Stimme damit nicht sagen wollen, daß Thomas More und Heinrich VIII. ein und dieselbe Person seien, sondern daß Thomas More in die Regierungszeit Heinrichs VIII. gehörte, wenn man die Persönlichkeiten nach Regierungsepochen klassifizierte.
Grant betrachtete den Lichtkreis, den seine Lampe gegen die Decke warf, und überlegte. Wenn Thomas More der Kanzler Heinrichs VIII. war, dann mußte er nicht nur während der ganzen langen Regierungszeit Heinrichs VIII., sondern auch während der Regierung Richards III. gelebt haben. Irgend etwas konnte da nicht stimmen.
Er griff nach Mores »Geschichte Richards III.«
Diese Geschichte hatte einen kurzen Lebensabriß Mores zum Vorwort, und Grant hatte sich
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