Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
Vom Netzwerk:
niedergeschrieben, was man ihm vom Plantagenet-England, bei dessen Ende er fünf Jahre alt war, erzählt hat.«
    »Fünf Jahre alt?«
    »Ja.«
    »Du meine Güte. Da ist er aber nicht gerade ein Kronzeuge!«
    »Seine Informationen stammen wahrscheinlich nicht einmal aus verläßlicher Quelle. Als Tudor-Beamter war er im Hinblick auf Richard natürlich parteiisch.«
    »Das glaube ich auch. Aber was willst du denn eigentlich über Richard wissen, wenn es da gar kein Geheimnis zu erforschen gibt?«
    »Ich möchte wissen, welcher Teufel ihn geritten hat. Es ist das vertrackteste Geheimnis, das mir seit langem untergekommen ist. Was hat ihn nur plötzlich über Nacht so verändert? Bis zum Tod seines Bruders scheint er absolut vorbildlich gewesen zu sein. Und seinem Bruder treu ergeben.«
    »Ich glaube, die höchste Macht ist immer eine große Versuchung.«
    »Er war Regent, bis sein Neffe volljährig geworden wäre. Protektor von England. Man sollte annehmen, das hätte ihm genügt. Ja, man sollte denken, gerade das hätte ihm besonders gelegen – Vormund des Königreichs und Vormund von Eduards Sohn.«
    »Vielleicht war der Balg unerträglich, und Richard wollte ihn Mores lehren. Es ist komisch, daß wir uns die Opfer immer als Unschuldslämmer vorstellen. Wie Josef in der Bibel. Ich bin überzeugt, daß er ein unausstehlicher junger Mann war und daß es im Grunde an der Zeit war, ihn in den Brunnen zu werfen. Vielleicht hat Jung-Eduard es auch herausgefordert.«
    »Es waren aber zwei«, erinnerte Grant sie.
    »Ach ja, richtig. Dafür gibt es natürlich keine Erklärung. Das war der Gipfel der Barbarei. Die armen kleinen lockigen Lämmer! O!«
    »Weshalb das O?«
    »Mir fiel nur gerade etwas ein. Bei lockigen Lämmern mußte ich dran denken.«
    »Und?«
    »Nein, ich erzähle es dir nicht, denn vielleicht wird nichts draus. Ich muß sausen.«
    »Hast du Madeleine March herumgekriegt, das Stück zu schreiben?«
    »Einen Kontrakt hat sie noch nicht unterzeichnet, aber ich glaube, sie hat Feuer gefangen. Au revoir , mein Lieber. Ich schau’ bald wieder vorbei.«
    Sie ging, von einer errötenden Amazone verabschiedet, und Grant dachte nicht mehr an lockige Lämmer, bis das lockige Lamm am nächsten Abend in voller Größe vor ihm stand. Das lockige Lamm trug eine riesige Hornbrille, die seltsamerweise die Ähnlichkeit noch unterstrich. Grant hatte gedöst, er war mit der Welt zufrieden wie schon lange nicht mehr. Wie die Oberin gesagt hatte, half die Beschäftigung mit der Geschichte wirklich, die Dinge wieder im richtigen Licht zu sehen. Das Klopfen an seiner Tür war so leise gewesen, daß er sich verhört zu haben glaubte. Im allgemeinen wird an Krankenzimmertüren niemals leise angeklopft. Trotzdem rief er: »Herein!« Und im Türrahmen stand etwas, das so unverkennbar Martas lockiges Lamm war, daß Grant laut auflachte.
    Der junge Mann sah verwirrt aus, lächelte nervös, rückte seine Brille mit seinem langen dünnen Zeigefinger auf der Nase zurecht, räusperte sich und sagte:
    »Mr. Grant? Mein Name ist Carradine. Brent Carradine. Ich hoffe, ich habe Sie nicht im Schlaf gestört.«
    »Nein, nein. Kommen Sie herein, Mr. Carradine. Es freut mich, Sie kennenzulernen.«
    »Marta – Miss Hallard wollte ich sagen – schickt mich zu Ihnen. Sie meinte, ich könnte Ihnen behilflich sein.«
    »Sagte sie Ihnen auch, auf welche Weise? Bitte, nehmen Sie doch Platz. Hinter der Tür steht ein Stuhl. Holen Sie ihn her.«
    Er war ein hochgewachsener, barhäuptiger Bursche, dessen weiches, helles Haar sich über einer hohen Stirn lockte. Sein viel zu großer Tweedmantel hing, auf amerikanische Manier, in lässigen Falten um ihn herum. Es war überhaupt auf den ersten Blick zu sehen, daß er ein Amerikaner war. Er brachte den Stuhl herbei, setzte sich steif darauf, und der Mantel wallte wie eine Königsrobe bis zum Boden hinab. Seine freundlichen braunen Augen, deren leuchtenden Charme nicht einmal die horngefaßten Brillengläser dämpften, blickten Grant aufmerksam an.
    »Marta – Miss Hallard wollte ich sagen – meinte, Sie hätten gern etwas nachgesehen.«
    »Und Sie sind ein Nachseher?«
    »Ja, ich mache hier in London Untersuchungen. Historische, muß ich hinzufügen. Sie sagte, daß Sie etwas auf diesem Gebiet suchten. Sie weiß, daß ich fast jeden Morgen im B. M. arbeite. Es wäre mir eine große Freude, Mr. Grant, wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein könnte.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen.

Weitere Kostenlose Bücher