Alibi für einen König
nun wirklich Fieber zu bekommen, nur um der Zwergin eins auszuwischen.
Aber Martas vormittäglicher Besuch lenkte ihn wieder von seinen Bemühungen ab, den Körper durch den Geist zu beeinflussen.
Es schien, daß Marta sich um seine geistige Gesundung ebenso bemühte wie die Zwergin um seine körperliche Genesung. Sie war entzückt darüber, daß ihr Geschnüffel mit James im Kunstladen solchen Erfolg gehabt hatte.
»Sag mal«, fragte Grant, »weshalb hast du mir eigentlich ein Porträt von Richard III. gebracht? Bei dem gibt’s doch keine Geheimnisse.«
»Nein. Aber warte mal einen Moment. Jetzt fällt es mir ein. James fischte es heraus und sagte: ›Wenn er auf Gesichter scharf ist, dann ist das etwas für ihn. Das ist der berüchtigste Mörder der Geschichte, und doch hat er meiner Meinung nach das Gesicht eines Heiligen‹.«
»Eines Heiligen?« sagte Grant. Und dann fiel ihm plötzlich etwas ein. »Übergewissenhaft«, sagte er.
»Was?«
»Nichts. Das bringt mich nur plötzlich wieder auf meinen ersten Eindruck. Ist es dir so vorgekommen? Wie das Gesicht eines Heiligen?«
Sie blickte auf das Bild, das an dem Bücherstapel lehnte. »Gegen das Licht kann ich es überhaupt nicht sehen«, sagte sie und nahm es in die Hand, um es aus der Nähe zu betrachten.
Ihm fiel plötzlich ein, daß für Marta wie für Sergeant Williams Gesichter zum Beruf gehörten. Für Marta wie für Williams verrieten der Schwung einer Augenbraue und der Ausdruck eines Mundes den Charakter. Sie legte sich ja auch Gesichter zu, die den Charakteren entsprachen, die sie auf der Bühne darstellte.
»Schwester Ingham kann nichts mit ihm anfangen. Schwester Darroll ist er ein Greuel. Mein Arzt meint, er sei das Opfer der Kinderlähmung. Sergeant Williams hält ihn für den geborenen Richter. Die Oberin findet, er leide seelische Höllenqualen.«
Marta sagte eine Weile gar nichts. Dann meinte sie: »Weißt du, es ist komisch. Auf den ersten Blick hält man es für ein unbedeutendes mißtrauisches Gesicht, ja, man denkt sogar an Streitsucht. Aber wenn man es länger betrachtet, dann merkt man, daß das nicht stimmt. Es ist ganz ruhig. Eigentlich ein ganz sanftes Gesicht. Vielleicht meinte James das, als er es ein Heiligengesicht nannte.«
»Nein. Nein, das glaube ich nicht. Was er meinte, war die – Unterwerfung unter das Gewissen.«
»Na, was immer es auch ist, jedenfalls ist es ein Gesicht! Nicht bloß eine Ansammlung von Organen zum Sehen, Atmen und Essen. Ein großartiges Gesicht. Mit ganz wenigen Änderungen könnte es auch ein Porträt von Lorenzo il Magnifico sein.«
»Du glaubst aber doch nicht etwa, daß es Lorenzo ist und daß wir die ganze Zeit über den falschen Mann sprechen?«
»Natürlich nicht. Wie kommst du nur darauf?«
»Weil nichts in diesem Gesicht mit den historischen Tatsachen übereinstimmt. Und es wäre ja nicht das erstemal, daß Bilder verwechselt werden.«
»O ja, das ist natürlich schon passiert. Aber das hier ist zweifellos Richard. Das Original – oder was als das Original gilt – befindet sich in Schloß Windsor. Das hat James mir gesagt. Es ist im Katalog der Sammlung Heinrichs VIII. aufgeführt, ist also seit etwa vierhundert Jahren dort. Und in Hatfield und Albury hängen Kopien.«
»Es ist Richard«, sagte Grant resigniert. »Ich verstehe eben leider nichts von Gesichtern. Kennst du irgend jemanden im B. M.?«
»Im Britischen Museum?« fragte Marta, deren Aufmerksamkeit noch immer auf das Porträt gerichtet war. »Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls fällt mir im Augenblick niemand ein. Ich war einmal dort, um mir ägyptischen Schmuck anzusehen, als ich mit Geoffrey die Cleopatra spielte. Hast du Geoffrey jemals als Antonius gesehen? Er war unglaublich zahm. Aber dieses Museum jagt mir eher Angst ein. Eine solche Aufspeicherung von Zeitaltern. Ich habe mich dort so gefühlt wie du angesichts der Sterne: klein und häßlich. Was möchtest du denn vom B. M.?«
»Ich möchte Auskunft über geschichtliche Werke aus der Zeit Richards III. Zeitgenössische Berichte.«
»Ja, taugt denn der geheiligte Sir Thomas nichts?«
»Der geheiligte Sir Thomas ist nichts anderes als ein altes Klatschweib«, sagte Grant giftig. Er hatte eine heftige Abneigung gegen den vielbewunderten More gefaßt.
»Du meine Güte! Und der nette Mann in der Bibliothek schien ihn so zu verehren. Das Evangelium Richards III. nach St. Thomas More und so.«
»Nix Evangelium«, erwiderte Grant grob. »Er hat im Tudor-England
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