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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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geliebt?«
    »Sie hat überhaupt niemals leidenschaftlich geliebt. Ganz gleich, was sie auf dem Kopfe hatte.«
    Marta sah so empört aus, wie ein Leben auf der Bühne und eine Stunde sorgfältigen Make-ups es ihr gestatteten.
    »Wie kommst du nur auf so etwas?«
    »Maria Stuart war eins achtzig groß. Fast alle Frauen von dieser Größe sind frigide. Frag deinen Arzt.«
    Und während er dies sagte, fiel ihm ein, daß ihm in all den Jahren, in denen er Marta hatte begleiten dürfen, wenn sie nicht um einen Begleiter umhin kam, noch nie der Gedanke gekommen war, ihre notorische Nüchternheit in bezug auf Männer sei vielleicht aus ihrer Körpergröße zu erklären. Marta jedoch hatte gar keine Vergleiche gezogen. Ihre Gedanken kreisten noch immer um ihre Lieblingskönigin.
    »Zumindest war sie eine Märtyrerin. Das wirst du ja wohl zugeben.«
    »Märtyrerin – wofür?«
    »Für ihre Religion.«
    »Ihr ganzes Märtyrertum war nichts als Rheumatismus. Sie heiratete Darnley ohne päpstlichen Dispens und Bothwell nach protestantischem Ritus.«
    »Vielleicht willst du auch noch behaupten, daß sie keine Gefangene war!«
    »Du begehst den Fehler, daß du sie dir in einem kleinen Zimmer hoch oben in einem Schloß vorstellst, mit vergitterten Fenstern und einem getreuen alten Höfling, der mit ihr betet. In Wirklichkeit verfügte sie über einen persönlichen Hofstaat von sechzig Personen. Als man ihn auf lumpige dreißig reduzierte, beschwerte sie sich bitterlich, und als man ihn auf zwei männliche Sekretäre, mehrere Frauen, einen Sticker und ein oder zwei Köche reduzierte, starb sie beinah vor Kummer. Und das alles mußte Elisabeth aus ihrer eigenen Tasche bezahlen. Zwanzig Jahre lang zahlte sie, und zwanzig Jahre lang bot Maria Stuart die schottische Krone in Europa feil, fest entschlossen, sie jedem zu verschachern, der eine Revolution vom Zaun brechen und sie wieder auf den Thron setzen würde, den sie verloren hatte. Oder auch auf den Thron, auf dem Elisabeth saß.«
    Er merkte, daß Marta lächelte.
    »Sind sie jetzt nicht mehr so schlimm?« fragte sie.
    »Was soll nicht mehr so schlimm sein?«
    »Die Dornenstiche der Langeweile.« Er lachte.
    »Ja. Ich hatte sie eine geschlagene Minute lang vergessen. Wenigstens ein Pluspunkt, der auf das Konto von Maria Stuart geht.«
    »Woher weißt du denn so viel über sie?«
    »Ich habe in meinem letzten Schuljahr einen Aufsatz über sie geschrieben.«
    »Und ich merke, daß du sie nicht mochtest.«
    »Ich mochte nicht, was ich über sie herausfand.«
    »Du hältst sie also für eine tragische Figur?«
    »O doch, sogar sehr tragisch. Aber nicht in dem Sinn, in dem man sie gemeinhin für tragisch hält. Ihre Tragödie bestand darin, daß sie als eine Königin mit dem Horizont einer Mittelstandshausfrau geboren wurde. Wenn man eine Mrs. Tudor aus der Nachbarschaft ausstechen und erledigen will, so ist das harmlos und unterhaltsam. Es kann einen zwar in unverantwortbare Geldschwierigkeiten bringen, aber man bleibt der alleinige Leidtragende. Überträgt man das gleiche Benehmen auf ganze Königreiche, dann sind die Folgen katastrophal. Wer ein Land mit zehn Millionen Einwohnern verpfänden will, um eine königliche Rivalin zu erledigen, der endet eben als gescheiterte Existenz und verscherzt sich alle Sympathien.« Er dachte einen kurzen Augenblick nach. »Als Direktorin einer Mädchenschule wäre sie ein rauschender Erfolg gewesen.«
    »Du Biest!«
    »Ich habe das nicht abschätzig gemeint. Der Lehrkörper hätte sie gemocht, und alle kleinen Mädchen hätten sie angeschwärmt. Das hatte ich im Sinn, als ich sie tragisch nannte.«
    »Na schön. Dann also keine Kassettenbriefe. Was gibt’s sonst noch? Den Mann mit der eisernen Maske?«
    »An den kann ich mich nicht erinnern. Aber ich könnte mich auch nicht für jemanden interessieren, der sich hinter Blech versteckt. Ich könnte mich überhaupt für niemanden interessieren, dessen Gesicht ich nicht sehen kann.«
    »Ach ja, ich vergaß deine Leidenschaft für Gesichter. Die Borgias hatten prachtvolle Köpfe. Ich könnte mir denken, daß sie dir ein paar kleine Rätsel aufzugeben hätten, wenn du dich mit ihnen beschäftigen würdest.«
    Die Tür öffnete sich, und Mrs. Tinkers biederes Gesicht erschien, von einem noch biedereren und historischen Hut gekrönt, im Türspalt. Diesen Hut trug Mrs. Tinker, seit sie in Grants »Dienste« getreten war. Grant konnte sich gar keinen anderen Hut auf ihr vorstellen. Er wußte, daß sie

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