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Alibi

Alibi

Titel: Alibi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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erinnerte mich an Ralphs freimütige Begrüßung an jenem Nachmittag. Lächerlich!
    «Sie wollte seinen Namen nicht preisgeben», sagte Ackroyd langsam, «sie gab nicht einmal zu, dass es ein Mann sei. Doch selbstverständlich …»
    «Selbstverständlich», stimmte ich bei, «wird es ein Mann gewesen sein. Haben Sie jemand in Verdacht?»
    Statt einer Antwort stöhnte Ackroyd und barg seinen Kopf zwischen den Händen.
    «Es kann nicht sein», sagte er dann. «Es macht mich wahnsinnig, auch nur daran zu denken. Ich möchte den Verdacht nicht aussprechen, der mir durch den Kopf schoss. Ich will Ihnen nur so viel sagen: Ich konnte ihren Reden entnehmen, dass die in Frage kommende Person möglicherweise mit meiner Haushaltung zusammenhängt – doch das ist ausgeschlossen. Ich muss sie falsch verstanden haben!»
    «Was sagten Sie ihr?»
    «Was konnte ich sagen? Sie merkte natürlich, wie furchtbar ihr Geständnis mich getroffen hatte. Und dann stellte sich für mich die Frage, wie ich mich pflichtgemäß zu verhalten hätte. Sehen Sie, sie machte mich nachträglich zu ihrem Mitschuldigen. Glauben Sie mir, ich war wie betäubt. Sie erbat sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit – und nahm mir das Versprechen ab, bis dahin nichts zu unternehmen. Und sie weigerte sich standhaft, den Namen des Schurken zu nennen, der sie erpresst hatte. Ich vermute, sie hatte Angst, ich würde hingehen und ihn niederschlagen. Und dann wäre erst recht der Teufel los gewesen. Sie sagte, ich würde von ihr hören, ehe vierundzwanzig Stunden um seien. Mein Gott, ich schwöre Ihnen, Sheppard, dass mir niemals einfiel, was sie zu tun beabsichtigte: Selbstmord! Und ich habe sie dazu gebracht!»
    «Nein, nein», sagte ich, «nur keine Übertreibung! Die Verantwortung für ihren Tod trifft bestimmt nicht Sie.»
    «Was soll ich tun? Die arme Frau ist tot. Warum also, vergangenes Unheil aufrühren?»
    «Da kann ich Ihnen nur beipflichten», meinte ich.
    «Doch da ist noch ein anderer Punkt. Wie soll ich des Schurken habhaft werden, der sie ebenso sicher in den Tod trieb, wie wenn er sie ermordet hätte? Er kannte das erste Verbrechen und klammerte sich daran wie ein gieriger Geier. Sie hat ihre Schuld gebüßt. Soll er frei ausgehen?»
    «Ich verstehe», sagte ich langsam. «Sie wollen ihn niederschießen? Das wird viel Aufsehen erregen. Haben Sie das bedacht?»
    «Gewiss. Ich habe alles ganz genau erwogen.»
    «Ich teile Ihre Ansicht über die Bestrafung des Schuftes, aber …»
    Ackroyd erhob sich und ging hin und her. Dann ließ er sich wieder in den Lehnstuhl fallen.
    «Hören Sie, Sheppard, lassen wir die Dinge vorläufig auf sich beruhen. Wenn keine Nachricht mehr von ihr kommt, wollen wir Totes ruhen lassen.»
    «Wenn keine Nachricht mehr kommt? Was verstehen Sie darunter?» fragte ich neugierig.
    «Ich habe das bestimmte Gefühl, dass sie irgendwie, irgendwo eine Botschaft für mich hinterließ – ehe sie starb. Ich kann es nicht beweisen, aber es ist sicher so.»
    Ich schüttelte den Kopf. «Hinterließ sie keinen Brief, keine Nachricht?», fragte ich.
    «Sheppard, ich bin überzeugt, dass sie es tat. Und mehr noch, ich fühle, dass sie mit Bedacht den Tod wählte, damit die ganze Sache an den Tag komme, wenn auch nur, um sich an jenem Menschen zu rächen, der sie zur Verzweiflung getrieben hat. Ich glaube, wäre ich damals bei ihr gewesen, sie hätte mir den Namen genannt …»
    Er brach ab. Die Tür öffnete sich geräuschlos, und Parker trat ein, ein silbernes Tablett in der Hand.
    «Die Abendpost, Sir», sagte er und überreichte Ackroyd das Tablett mit den Briefen. Dann nahm er die Kaffeetassen und verschwand.
    Meine vorübergehend abgelenkte Aufmerksamkeit kehrte zu Ackroyd zurück. Er starrte wie versteinert einen blauen Briefumschlag an. Die übrigen Briefe waren zu Boden gefallen.
    «Ihre Handschrift», flüsterte er. «Sie muss gestern Abend noch ausgegangen sein und den Brief aufgegeben haben, ehe sie …»
    Er riss den Umschlag auf und entnahm ihm die umfangreiche Einlage. Dann sah er mit starrem Blick auf.
    «Wissen Sie bestimmt, dass Sie das Fenster geschlossen haben?» fragte er.
    «Ganz bestimmt», sagte ich überrascht.
    «Ich werde den ganzen Abend das unbehagliche Gefühl nicht los, dass man mich beobachtet und belauscht.»
    Er entfaltete die großen Briefbogen und las mit gepresster Stimme vor:
    Mein lieber, innigst geliebter Roger. Ein Verbrechen muss gesühnt werden. Ich fühle es – ich las es heute Nachmittag in

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