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Alibi

Alibi

Titel: Alibi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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würde, wusste ich es doch nicht sicher. Ich dachte, wenn ich nur einen Blick auf eine Abschrift seines Testamentes werfen könnte – nicht, um zu spionieren, sondern nur, um zu wissen, wie ich … hm … disponieren könnte.»
    Sie sah zur Seite.
    «Nur Ihnen konnte ich das alles erzählen, lieber Doktor», sagte sie hastig. «Ich kann mich darauf verlassen, dass Sie mich nicht falsch beurteilen und die Angelegenheit Mr. Poirot im richtigen Licht darstellen werden. Es war am Freitagnachmittag …» Sie hielt inne und schluckte unsicher.
    «Ja», wiederholte ich ermutigend. «Am Freitagnachmittag. Und?»
    «Alle waren ausgegangen; wenigstens nahm ich das an. Und ich ging in Rogers Zimmer – ich hatte auch einen wirklichen Grund hinzugehen –, ich meine, es war nichts Heimliches dabei. Als ich die aufgehäuften Papiere auf dem Schreibtisch erblickte, schoss es mir plötzlich wie ein Blitz durch den Kopf: Wer weiß, ob Roger nicht in seiner Schreibtischschublade sein Testament aufbewahrt! Ich bin immer so rasch entschlossen, war auch als Kind schon so. Er hatte seinen Schlüssel unvorsichtigerweise an der obersten Lade stecken lassen.»
    «Ich verstehe», half ich weiter. «So durchsuchten Sie den Schreibtisch. Fanden Sie das Testament?»
    Mrs. Ackroyd schrie abermals auf, und ich merkte, dass ich nicht diplomatisch genug gesprochen hatte.
    «Wie furchtbar das klingt! Aber in Wirklichkeit war es gar nicht so.»
    «Oh, gewiss nicht», versicherte ich eilig. «Sie müssen verzeihen, wenn ich mich nicht richtig ausgedrückt habe.»
    «Natürlich, Männer sind so geradeheraus. Ich an Rogers Stelle hätte gegen das Bekanntwerden meiner letzten Verfügungen nichts einzuwenden gehabt. Aber Männer haben immer Heimlichkeiten und zwingen uns dadurch, zur Selbstverteidigung nach kleinen Auswegen zu suchen.»
    «Und das Ergebnis dieser kleinen Auswege?», fragte ich.
    «Das will ich Ihnen eben erzählen. Als ich gerade beim letzten Schubfach war, trat Ursula Bourne ein. Es war äußerst peinlich. Natürlich schloss ich die Lade, stand auf und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ein wenig Staub, der auf der glatten Fläche lag. Doch mir gefiel ihr Blick nicht. Beinahe geringschätzig, wenn Sie wissen, was ich meine. Das Mädchen hat mir nie gefallen. Noch mehr als das. Sie ist mir unangenehm. Sie ist anders als die anderen. Zu gut erzogen, das ist meine Ansicht. Man kann heutzutage nicht mehr unterscheiden, wer eine Dame ist und wer nicht.»
    «Und was geschah dann?»
    «Nichts. Schließlich kam Roger herein. Er fragte, was los sei, und ich antwortete: ‹Nichts, ich wollte mir nur den Punch holen.› Und ich nahm den Punch und ging hinaus. Ursula blieb. Ich hörte noch, wie sie Roger fragte, ob sie ihn einen Augenblick sprechen könne. Ich ging sofort auf mein Zimmer, um zu Bett zu gehen. Ich war sehr aufgeregt.»
    «Ist das alles?», fragte ich. «Haben Sie mir alles gesagt?»
    «J-a», sagte Mrs. Ackroyd. «O ja!»
    Mir war ihr sekundenlanges Zögern nicht entgangen, und ich wusste, dass sie noch immer etwas verheimlichte. Ein guter Geist muss mir wohl die Frage eingegeben haben, die ich nun stellte.
    «Mr. Ackroyd, ließen Sie den Deckel der Vitrine offen?»
    Ihr schuldbewusstes Erröten, das weder Schminke noch Puder verbergen konnte, genügte mir.
    «Woher wissen Sie …?», flüsterte sie.
    «Sie hatten also vergessen, ihn zu schließen?»
    «Ja, ich … es gab dort zwei alte, sehr interessante Silbermünzen. Ich hatte über derlei Dinge gelesen und die Abbildung einer kleinen Münze gesehen, die bei Christie einen ungeheuren Preis erzielt hatte. Sie glich der einen aus der Vitrine. Ich wollte sie nach London mitnehmen, wenn ich hinfahre, und … sie schätzen lassen. Denken Sie nur, welch reizende Überraschung für Roger, wenn sie wirklich so wertvoll wäre!»
    Ich enthielt mich jeglichen Kommentars und nahm Mrs. Ackroyds Geschichte hin, wie sie sie darstellte.
    «Weshalb ließen Sie den Deckel offen?»
    «Ich erschrak», entgegnete sie. «Ich hörte auf der Terrasse Schritte, eilte aus dem Zimmer und erreichte eben das obere Stockwerk, als Parker Ihnen das Haupttor öffnete.»
    «Das muss Miss Russell gewesen sein», sagte ich nachdenklich.
    Mrs. Ackroyd hatte mir eine äußerst interessante Einzelheit mitgeteilt. Ob ihre Absichten bezüglich Ackroyds Silbermünzen ehrenhaft gewesen waren oder nicht, kümmerte mich nicht. Was mich jedoch interessierte, war die Tatsache, dass Miss Russell den Salon durch die Balkontür

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