Alibi
Augenblick!
«Weiß sie bestimmt, dass sie nicht braun waren?»
«Bestimmt.»
«Ach!», äußerte Poirot bedauernd. «Das ist aber schade.»
Und er schien ganz niedergeschlagen.
Er gab keine weiteren Erklärungen, sondern wechselte sofort das Thema.
«Wäre es indiskret, zu fragen, wovon an jenem Freita g morgen die Rede war – von medizinischen Einzelheiten abgesehen –, als Miss Russell zu Ihnen kam?»
«Durchaus nicht», sagte ich. «Als der berufliche Teil erledigt war, plauderten wir einige Minuten lang über Gifte, ob sie leicht oder schwer im Körper zu entdecken seien, dann über Rauschgifte …»
«Mit besonderer Erwähnung von Kokain?», unterbrach mich Poirot.
«Woher wissen Sie das?», gab ich einigermaßen überrascht zurück.
Anstatt zu antworten, erhob sich der kleine Mann und durchschritt das Zimmer bis zu einem Tisch, wo Zeitungen aufgestapelt lagen. Er brachte mir ein Exemplar des Daily Budget vom letzten Freitag und zeigte mir einen Artikel, der sich mit Kokainschmuggel befasste.
«Das dürfte Miss Russell auf Kokain gebracht haben, mein Freund», sagte er.
Ich hätte ihn gern weiter befragt, da ich nicht recht verstand, was er meinte, doch öffnete sich in diesem Augenblick die Tür, und Geoffrey Raymond wurde gemeldet.
Frisch und munter wie immer trat er ein.
«Guten Tag, meine Herren! Monsieur Poirot, ich bin heute schon zum zweiten Mal hier. Es lag mir viel daran, Sie zu treffen.»
«Wenn ich vielleicht störe …» Ich stand auf.
«Aber gar nicht, Doktor. Ich komme nur, um ein Geständnis zu machen.»
«Wirklich?», fragte Poirot mit höflichem Interesse.
«Eigentlich ohne jede Bedeutung. Aber mein Gewissen drückt mich nun schon seit gestern Nachmittag. Sie beschuldigten uns alle, etwas zu verheimlichen, Monsieur Poirot. Ich bekenne mich schuldig. Ich habe etwas auf dem Herzen.»
«Und das wäre?»
«Wie ich schon sagte, ist es recht belanglos. Ich war verschuldet – sehr sogar, und das Legat kam gerade zur rechten Zeit. Fünfhundert Pfund stellen mich wieder auf die Beine, und es bleibt auch noch etwas übrig. Sie wi s sen, wie es ist. Misstrauischen Polizisten gegenüber gibt man nicht gern zu, dass man etwa in Geldverlegenheit ist – das erscheint ihnen gleich verdächtig. Da ich aber mit Blunt von drei viertel zehn an im Billardzimmer war und also ein einwandfreies Alibi besitze, habe ich nichts zu befürchten. Durch Ihre gestrigen Vorwürfe fühlte ich mich aber doch etwas getroffen, und nun bin ich gekommen, um mein Herz zu erleichtern.»
Er stand lächelnd auf.
«Sie sind ein kluger junger Mann», sagte Poirot und nickte ihm lächelnd zu. «Sehen Sie, wenn jemand etwas vor mir geheim hält, vermute ich natürlich etwas – Schlimmes. Sie haben richtig gehandelt.»
«Ich bin sehr froh, dass der Verdacht von mir geno m men ist», lachte Raymond. «Ich muss jetzt gehen.»
«So, das war es also?», bemerkte ich, als sich die Tür hinter dem jungen Sekretär geschlossen hatte.
«Ja», sagte Poirot, «eine reine Lappalie – doch wäre er nicht im Billardzimmer gewesen, wer weiß? Schließlich sind schon viele Verbrechen wegen weniger als fünfhu n dert Pfund verübt worden. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, mein Freund, wie viele Menschen aus Ackroyds Tod Vorteil ziehen? Mrs. Ackroyd, Miss Flora, der junge Raymond, Miss Russell, die Haushälterin. Nur einer nicht, nämlich Major Blunt.»
Seine Stimme klang so seltsam, als er diesen Namen nannte, dass ich überrascht aufblickte.
«Ich verstehe Sie nicht recht», warf ich ein.
«Zwei der Leute, die ich anklagte, haben die Wahrheit eingestanden.»
«Sie denken, dass auch Major Blunt etwas zu verbergen hat?»
«Gibt es nicht so eine Art Sprichwörter», bemerkte Poirot gleichgültig, «dass Engländer nur eines geheim halten – nämlich ihre Liebe? Major Blunt aber – das muss ich sagen – versteht sich schlecht aufs Verheimlichen.»
«Manchmal», begann ich wieder, «frage ich mich, ob wir nicht nach einer Richtung etwas übereilte Schlüsse zogen.»
«Nach welcher?»
«Wir nahmen an, dass Mrs. Ferrars’ Erpresser notwendigerweise auch Ackroyds Mörder sein müsse. Könnte dies nicht ein Irrtum sein?»
Poirot nickte energisch.
«Sehr gut, wirklich ausgezeichnet. Ich war neugierig, ob Ihnen dieser Gedanke kommen würde. Aber wir müssen einen Punkt im Auge behalten. Der Brief verschwand. Was, wie Sie sagen, noch immer nicht bedeuten muss, dass der Mörder ihn entwendet hat. Als Sie die Leiche
Weitere Kostenlose Bücher