Alibi
betreten haben musste und dass ich mich also nicht getäuscht hatte, als ich vermutete, sie sei vom schnellen Gehen außer Atem gewesen. Woher war sie aber gekommen? Ich dachte an das Gartenhaus und das weiße Batiststückchen.
«Glauben Sie, dass Sie dies Mr. Poirot verständlich machen können?» fragte sie besorgt.
«O gewiss, vollkommen.»
Endlich gelang es mir fortzukommen. Das Stubenmädchen war in der Halle und half mir in den Mantel. Ich sah sie diesmal genauer an. Sie hatte offensichtlich geweint.
«Warum haben Sie uns erzählt, dass Mr. Ackroyd Sie am Freitag in sein Arbeitszimmer holen ließ? Eben habe ich erfahren, dass Sie ihn um eine Unterredung baten!»
Einen Augenblick lang schlug sie die Augen nieder.
«Ich hatte jedenfalls vor, das Haus zu verlassen», war die leise Antwort.
Ich erwiderte nichts. Sie öffnete mir die Haustür. Als ich hinaustrat, sagte sie plötzlich:
«Verzeihen Sie, Sir, gibt es irgendwelche Nachrichten von Captain Paton?»
Ich schüttelte den Kopf und sah sie prüfend an.
«Er sollte zurückkehren», fuhr sie leise fort. «Wirklich – wirklich, er sollte zurückkommen. Weiß denn niemand, wo er sich aufhält?»
«Wissen Sie es?», fragte ich zurück.
Sie schüttelte den Kopf.
«Nein, wirklich nicht. Ich weiß nichts. Aber irgend jemand, der ihm freundlich gesinnt ist, sollte ihm sagen, dass er zurückkommen müsste.»
Ich zögerte, in der Hoffnung, sie würde vielleicht weitersprechen. Ihre nächste Frage überraschte mich.
«Wann, glaubt man, wurde der Mord verübt? Knapp vor zehn?»
«Das ist Ansichtssache», entgegnete ich. «Zwischen drei viertel zehn und zehn Uhr.»
«Nicht früher? Nicht vor drei viertel zehn?»
Ich sah sie sehr aufmerksam an.
«Das steht außer Frage», sagte ich. «Miss Ackroyd hat um drei viertel zehn ihren Onkel noch lebend gesehen.»
Sie wandte sich ab, und ihre ganze Gestalt schien zusammenzusinken.
Ein hübsches Mädchen, sagte ich mir, als ich heimfuhr. Ein sehr hübsches Mädchen!
Caroline war daheim. Poirot hatte sie besucht; sie war bester Laune und machte sich sehr wichtig.
«Ich helfe ihm bei seinen Nachforschungen», erklärte sie. Mir war ein wenig unbehaglich. Caroline ist jetzt schon ein schwieriger Fall. Wie wird es aber sein, wenn ihre Neigung, Detektiv zu spielen, gefördert wird?
«Suchst du die ganze Nachbarschaft nach Patons geheimnisvollem Mädchen ab?», fragte ich.
«Das tue ich vielleicht aus eigenem Antrieb. Nein, für Mr. Poirot soll ich etwas ganz Besonderes auskundschaften.»
«Was denn?»
«Er will wissen, ob Ralphs Stiefel braun oder schwarz waren», sagte Caroline ungeheuer wichtig.
Ich starrte sie an. Jetzt allerdings sehe ich ein, dass ich hinsichtlich dieser Stiefel unglaublich dumm war.
«Die Schuhe waren braun», sagte ich. «Ich habe sie gesehen.»
«Nicht Schuhe, James, Stiefel. Mr. Poirot möchte wissen, ob ein Paar Stiefel, das Ralph im Hotel hatte, braun oder schwarz war. Es hängt viel davon ab.»
Mag mich beschränkt nennen, wer will: ich verstand das nicht. Caroline meinte, das werde ihr keine Schwierigkeiten bereiten. Die beste Freundin unserer Annie sei Clara, das Mädchen von Miss Ganett. Und Clara war mit dem Stiefelputzer von den ‹Three Boars› liiert. Die Sache sei die Einfachheit selbst. Und mit Hilfe von Miss Ganett, die bereitwilligst mitwirkte, indem sie Clara Ausgang gewährte, wurde die Angelegenheit mit fliegender Eile durchgeführt.
Als wir uns zum Lunch setzten, bemerkte Caroline mit geheuchelter Gleichgültigkeit: «Was die Stiefel von Ralph Paton anbelangt …»
«Ja», sagte ich, «was ist damit?»
«Mr. Poirot dachte, sie seien wahrscheinlich braun gewesen. Er hatte unrecht. Sie sind schwarz.»
Und Caroline nickte einige Male. Sie hatte tatsächlich das Gefühl, Poirot übertrumpft zu haben.
Ich antwortete nicht. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was die Farbe eines Stiefelpaares von Ralph Paton für einen Einfluss auf den ganzen Fall haben könnte.
15
A n diesem Tage sollte noch ein weiterer Erfolg die Richtigkeit von Poirots Taktik beweisen. Seine Herausforderung war ein geschickter Zug gewesen, welcher der Kenntnis der menschlichen Natur entsprungen war. Angst und Schuldbewusstsein zusammen hatten Mrs. Ackroyd die Wahrheit abgerungen.
Als ich am Nachmittag von einigen Krankenbesuchen heimkam, teilte mir Caroline mit, dass Geoffrey Raymond eben weggegangen sei.
«Wollte er mich nicht sprechen?», fragte ich, während ich in der Halle
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