Alibi
Hastings, von dem ich schon so oft erzählte, pflegte zu sagen, ich sei eine menschliche Auster. Aber er war ungerecht. Tatsachen behalte ich nie für mich. Es bleibt nur jedem selbst vorbehalten, sie nach seinem Gutdünken zu deuten.»
«Wann soll ich die Einladungen vornehmen?»
«Jetzt gleich, wenn Sie wollen. Wir sind ja dicht am Hause. In einer Viertelstunde treffen wir am Gartentor wieder zusammen.»
Es stellte sich heraus, dass von der Familie nur Mrs. Ackroyd zuhause war. Sie empfing mich sehr liebenswürdig.
«Ich bin Ihnen so dankbar, lieber Doktor», flüsterte sie, «dass Sie Mr. Poirot in jener Angelegenheit aufgeklärt haben. Aber das Leben bringt eine Sorge um die andere. Sie hörten natürlich schon von Flora?»
«Was eigentlich?»
«Von ihrer neuen Verlobung. Flora und Hektar Blunt. Natürlich keine so gute Partie, wie Ralph es gewesen wäre. Aber schließlich ist Glück die Hauptsache. Was Flora braucht, ist ein älterer, gesetzter und verlässlicher Mann, und dann ist Hektor wirklich vornehm in seiner Weise. Haben Sie die Nachricht von Ralphs Verhaftung in der heutigen Morgenzeitung gelesen?»
«Ja.»
«Schrecklich.» Mrs. Ackroyd schloss schaudernd die Augen.
«Geoffrey Raymond war in furchtbarer Verfassung und rief in Liverpool an. Aber die Polizeidirektion wollte ihm keine Auskunft geben. Man behauptete sogar, Ralph sei gar nicht festgenommen. Mr. Raymond sagt, es sei ein Irrtum, eine – wie nennt man das –, eine Zeitungsente. Ich habe natürlich verboten, vor den Dienstboten davon zu sprechen. So eine Schande! Denken Sie, wenn Flora ihn wirklich geheiratet hätte.»
Mrs. Ackroyd schloss schmerzerfüllt die Augen. Ich fing an, darüber nachzudenken, wann es mir wohl gelingen würde, Poirots Einladung zu überbringen.
«Sie waren gestern hier, nicht wahr, mit jenem schrecklichen Inspektor Raglan? Dieser Unmensch erschreckte Flora so sehr, dass sie sagte, sie habe das Geld aus dem Zimmer des armen Roger genommen. Und die Sache war doch so einfach. Das liebe Kind wollte einige Pfund ausborgen und wagte nicht, ihren Onkel zu stören, da er es strengstens verboten hatte. Da sie aber wusste, wo er sein Geld aufbewahrte, ging sie hin und nahm, was sie benötigte.»
«Stellt Flora die Sache so dar?», fragte ich.
«Mein lieber Doktor, Sie wissen doch, wie die heurigen Mädchen sind. Durch Suggestion so leicht zu beeinflussen. Der Inspektor schreit sie an und gebraucht so lange den Ausdruck ‹stehlen›, bis das arme Kind eine Hemmung – oder einen Komplex – bekommt, ich verwechsle die beiden Ausdrücke immer, und tatsächlich selbst glaubt, dass sie das Geld gestohlen hat. Andererseits kann ich für dieses Missverständnis natürlich nicht dankbar genug sein, da es die beiden zusammengebracht zu haben scheint – Hektor und Flora meine ich. Und ich versichere Ihnen, ich habe mich in der letzten Zeit sehr um Flora gesorgt, denn ich dachte tatsächlich einmal, dass sich zwischen ihr und dem jungen Raymond ein gewisses Einverständnis entwickle. Denken Sie nur!» Mrs. Ackroyd stöhnte entsetzt auf. «Ein Privatsekretär – mit so gut wie gar keinem Vermögen.»
«Das wäre sicher ein schwerer Schlag für Sie gewesen», sagte ich. «Übrigens, Mrs. Ackroyd, ich habe Ihnen von Mr. Poirot etwas zu bestellen.»
Mrs. Ackroyd sah ganz bestürzt aus, und ich beeilte mich, sie zu beruhigen und ihr zu erklären, was Poirot wünschte.
«Gewiss», sagte sie etwas misstrauisch. «Ich denke, wir müssen wohl kommen, wenn Poirot es verlangt. Aber was hat das zu bedeuten?»
Ich versicherte ihr wahrheitsgemäß, dass ich auch nicht mehr wusste als sie.
«Gut», sagte sie endlich etwas widerstrebend. «Ich will es den anderen sagen, und wir werden um neun Uhr dort sein.»
Ich verabschiedete mich, um Poirot an dem verabredeten Ort zu treffen.
«Ich fürchte, ich bin länger geblieben als eine Viertelstunde», bemerkte ich. «Aber wenn die gute Dame zu reden beginnt, so gehört es zu den schwierigsten Dingen, einmal selbst zu Wort zu kommen.»
«Das macht nichts», sagte Poirot. «Ich habe mich inzwischen sehr gut unterhalten. Der Park ist wirklich herrlich.»
Wir machten uns auf den Heimweg. Als wir ankamen, öffnete uns zu meinem größten Erstaunen Caroline selbst die Tür. Sie hatte offenbar auf uns gewartet.
Sie legte den Finger an die Lippen. Dir Gesicht strahlte vor Wichtigkeit und Erregung.
«Ursula Bourne», flüsterte sie, «die Zofe aus Fernly. Sie ist drinnen. Ich habe sie ins
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