Alibi
welche Höhe die Verbindlichkeiten Ralphs erreicht hatten, geriet er in Wut und weigerte sich, überhaupt etwas für seinen Stiefsohn zu tun. Einige Monate verstrichen, und Ralph wurde noch einmal nach Fernly gerufen. Roger Ackroyd wollte, dass Ralph Flora heiratete, und er sagte das dem jungen Mann offen.
In diesem Augenblick trat Ralphs angeborene Willensschwäche klar zu Tage. Wie immer haschte er nach der leichten, der sofortigen Lösung. Soviel ich herausbringen konnte, gaben weder Ralph noch Flora vor, verliebt zu sein. Roger Ackroyd diktierte seine Wünsche, und sie fügten sich. Flora ergriff die Gelegenheit, zu Geld, Freiheit und einem weiteren Gesichtskreis zu gelangen. Ralph allerdings spielte ein anderes Spiel. Seine Schulden sollten bezahlt werden. Er konnte von neuem beginnen. Es lag nicht in seiner Natur, an die Zukunft zu denken, aber ich glaube, dass ihm unklar vorschwebte, nach einiger Zeit das Verlöbnis mit Flora zu lösen. Er kam mit Flora überein, die Verlobung vorläufig geheim zu halten, und war ängstlich bemüht, die ganze Sache vor Ursula zu verbergen.
Dann kam der entscheidende Augenblick, als Roger Ackroyd in seiner herrischen Art die Veröffentlichung der Verlobung beschloss. Ralph gegenüber erwähnte er seine Absicht mit keinem Wort; er sprach nur mit Flora, die zu apathisch war, um Einspruch zu erheben. Die Nachricht traf Ursula wie eine Bombe. Von ihr gerufen, kam Ralph eiligst aus der Stadt. Sie trafen im Wald zusammen, wo ein Teil ihres Gespräches von meiner Schwester belauscht wurde. Ralph beschwor sie, noch kurze Zeit zu schweigen, aber Ursula war fest entschlossen, den Heimlichkeiten ein Ende zu bereiten. Sie wollte unverzüglich Mr. Ackroyd die Wahrheit mitteilen. Die jungen Eheleute schieden in Unfrieden.
Ursula hielt an ihrem Vorsatz fest, bat an jenem Nachmittag Mr. Ackroyd um eine Unterredung und enthüllte ihm die volle Wahrheit. Ihr Gespräch gestaltete sich sehr stürmisch, und es wäre vielleicht noch stürmischer verlaufen, hätte nicht Roger Ackroyd schon genug eigene Sorgen gehabt. Doch es war noch immer schlimm genug. Ackroyd gehörte nicht zu jenen Menschen, die einen ihnen zugefügten Betrug verzeihen können. Sein Groll richtete sich hauptsächlich gegen Ralph, aber auch Ursula bekam ihr Teil. Harte Worte fielen auf beiden Seiten.
Am gleichen Abend trafen sich Ursula und Ralph wie verabredet im Gartenhaus, zu diesem Zweck stahl sie sich durch den Seitenausgang aus dem Haus. Ihre Unterredung bestand aus gegenseitigen Vorwürfen. Ralph bezichtigte Ursula, seine Aussichten durch ihre Enthüllungen unwiederbringlich vernichtet zu haben. Ursula warf ihm Falschheit vor.
Dann trennten sie sich. Eine halbe Stunde später wurde Roger Ackroyds Leiche gefunden. Seit jenem Abend hatte Ursula von Ralph weder etwas gesehen noch gehört.
Je weiter die Geschichte sich entwickelte, desto mehr fiel mir auf, wie viel Belastungsmaterial sie enthielt. Hätte Ackroyd gelebt, so hätte er unweigerlich sein Testament geändert. Ich kannte ihn genügend, um zu wissen, dass dies sein erster Gedanke gewesen wäre. Sein Tod war für Ralph und Ursula gerade zur rechten Zeit gekommen. Kein Wunder, dass das Mädchen den Mund gehalten und ihre Rolle so beharrlich weitergespielt hatte.
«Madame, ich muss Sie noch etwas fragen», begann Poirot ernst, «und Sie müssen wahrheitsgemäß antworten, denn davon kann alles abhängen. Wie spät war es, als Sie sich im Gartenhaus von Captain Paton trennten? Überlegen Sie einen Augenblick, damit Ihre Antwort sehr genau ausfällt.»
Das Mädchen lachte bitter auf.
«Glauben Sie, ich habe dies nicht immer und immer wieder überlegt? Es war genau halb zehn, als ich mich mit ihm traf. Major Blunt ging auf der Terrasse auf und ab, so dass ich rund um das Gebüsch schleichen musste, um nicht gesehen zu werden. Drei Minuten später dürfte ich das Gartenhaus erreicht haben, wo Ralph mich erwartete. Ich war zehn Minuten mit ihm zusammen, nicht länger, da ich genau um drei viertel zehn schon wieder das Haus betrat.»
Ich verstand nun ihre ängstliche Frage vom vergangenen Tag, ob es bewiesen werden könne, dass Ackroyd vor drei viertel zehn ermordet wurde und nicht erst später.
«Wer verließ das Gartenhaus zuerst?», fragte Poirot kurz.
«Ich.»
«Und Ralph blieb zurück?»
«Ja – aber Sie denken doch nicht etwa …»
«Madame, was ich denke, ist doch vollkommen gleichgültig. Was taten Sie, nachdem Sie ins Haus zurückgekehrt
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