Alice@Hollywood
das als Erstes gelingt, der hat gewonnen und ist der Held für Laura Ingalls und alle ihre Freundinnen. Und wahrscheinlich gibt es als Belohnung dann den ersten Kuss, irgendwo hinter dem Heuschober. Ich muss grinsen, denn eigentlich gefällt mir diese Vorstellung. Mal abgesehen vom penetranten Geruch der Schweineexkremente, der sicherlich dunstglockenähnlich über den Bauernhöfen schwebt. Aber es hat schon eine eigene Qualität, seiner Angebeteten die Liebe durch einen Ringkampf zu beweisen. Jedenfalls besser als zu sagen: »Ey, ich hab die neueste Eminem-CD. Voll krass. Kann ich dir brennen, ey !«
Schweinekampf ist da irgendwie romantischer. Na ja, vielleicht auch nicht. Ich kriege meine Gedanken nicht auf die Reihe. Zu viel geht mir durch den Kopf. Immer wieder habe ich so eine ungute Vorahnung, wenn ich an Steve denke. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen. Wir biegen in die Main Street des Dörfchens ein. Steves Hometown. Über der kastaniengesäumten Allee begrüßt uns ein Banner, das zum alljährlichen »Icehouse Beer Bullshow und Rodeospektakel« einlädt. Das größte kulturelle Ereignis des Jahres, wusste Steve zu berichten. Abgesehen von den Heimspielen der Footballmannschaft Green Bay Packers gegen den Erzrivalen aus Chicago. Seit Steve zur Welt gekommen ist, hat er noch kein einziges Mal das berühmte Dorffest verpasst. Als Sechsjähriger ist er sogar mit Mumps beim großen Hot-Dog-Fresswettbewerb angetreten und hat einen ungerechtfertigten dritten Platz belegt. Nur weil man wegen seiner dicken Backen dachte, er hätte nach Abpfiff noch ein Stückchen Hot Dog im Mund.
Nina bremst leicht ab. Ein gelbes Blinklicht signalisiert »aufpassen, Schulkinder«. Das ist wahrscheinlich die Grundschule, die Steve besucht hat. Hier hat er heimlich die Mädchen auf dem Schulklo beobachtet und sich von Rektor Skinner eine Standpauke angehört, der ihn beim Rauchen erwischt hat.
»Wie heißt die Straße ?« , will Nina wissen.
Ihr Stimme klingt verrostet, nachdem sie nun für knappe zwei Stunden geschwiegen hat.
»Weiß ich nicht genau. Aber hey, das hier ist ein Dorf. Familie Miller wird man schon kennen !«
Ruth bezweifelt das. Genauso könnte man nach China reisen, weil man sich dort mit Herrn Lee verabredet hat.
Unser Wagen hält vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft. Nina braucht Öl für ihre Kehle, und vielleicht kann uns hier ja jemand weiterhelfen. Wir quälen uns aus dem Mietwagen. Die müden Gelenke knacken. Ich sehe furchtbar aus, finde ich. Meine Bluse ist zerknittert. Ein feiner, weißer Schweißrand ziert den Stoff unterhalb des Dekolletes. Meine Haare animieren vorbeifliegende Vögel, sich ein Nest zu bauen. So kann ich mich eigentlich nicht unter Leute trauen. Mein Fünffingerkamm gibt rasch auf. Was soll's. Filmkritiker loben ungeschminkte Schauspielerinnen für ihren »out-of-bed-look«. Wenn ich mir etwas Mühe gebe, kriege ich für mein Auftreten am Ende noch einen Oscar.
Wir gehen in den Laden. Das kleine, mattglänzende Messingglöckchen über der Tür verkündet unsere Ankunft. Das Geschäft hat die Ausmaße eines Schuhkartons, aber das Sortiment könnte ein ganzes Kaufhaus füllen. Nina biegt schnurstracks in den Gang mit Erfrischungsgetränken. Ruth zieht es in Richtung Schokoriegel. Beides erweckt mein Interesse gleichermaßen. Also greife ich, in einer Art Übersprungshandlung, zu einer Dose Deospray. Den Mief der Fahrt aus den Klamotten schießen. Argwöhnisch beobachtet mich dabei ein schmächtiger junger Mann im weißen Kittel, der am Ende des Regals Chipsrollen aus einem Pappkarton zaubert. »Ich weiß, es übertüncht nur, aber es ist schließlich keine Dusche in der Nähe«, soll mein entschuldigendes Lächeln ihm sagen. Doch mein Gesichtsausdruck hat offenbar einen unverständlichen Akzent gesprochen. Der Angestellte kommt auf mich zu. Der Typ kann eine Augenbraue einzeln hochziehen. Anfang zwanzig, maximal, mit Selbstbewusstsein bis in die Haarwurzeln . Er hebt asymmetrisch zur Augenbraue einen Mundwinkel und nimmt mir sanft, aber bestimmt das Deo aus der Hand. Seinen Unterarm ziert ein kleines Anker-Tattoo, welches kurz unter dem Kittel hervorschaut, als er den Deckel auf die Dose drückt.
»Hi. I am Sailor !« , gibt er sich zu erkennen. »Can I help you ?«
Das kannst du wirklich, denke ich, und zwar indem du dein arrogantes Grinsen abschaltest und zurück in die Chipsrollen kriechst.
»I am looking for the Miller family«, geht mein Mund nicht auf mein Gehirn
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