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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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um ihr mitzuteilen, dass er New York verlässt und nach Kalifornien geht. Mehr nicht. Er habe weder eine Erklärung abgegeben noch Anschrift oder Telefonnummer dagelassen. Adieu, das kann ich also vergessen. Es sei denn, ich kann Nina und Ruth davon überzeugen, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen, auf das wir unsere Tage damit zubringen, ganz Kalifornien zu durchkämmen. Etwas Mühlsteingroßes sackt in meine Magengrube. Ich werde Steve nie finden. Heather beginnt plötzlich heftig zu schluchzen. Ihr Schmerz lenkt mich  von meinem Problem ab. Unbeholfen nehme ich sie in den Arm. Kurz schaut sie mich dankbar an, um sich dann von mir zu lösen, ihr Bluse zu richten und mit Smalltalk zu beginnen. Ich denke, ich sollte jetzt nicht weiter bohren.
    Heather fragt uns nach dem Leben in Deutschland. Leider haben wir kaum die Möglichkeit, ihr auch nur ansatzweise etwas über Heidi Klum oder Karl Lagerfeld zu erzählen, denn Herrman fällt uns ständig ins Wort. Er weiß genau Bescheid über das Land der Dichter und Denker. Insbesondere über die allzu liberale Einstellung unserer Politiker und über so etwas Unmoralisches wie die Homo-Ehe. Ich schaue meine beiden Begleiterinnen an. Ruth hat gar nicht zugehört. Stattdessen dippt sie träge ihr Brötchen in eine Schüssel Knoblauchsoße. Nina ist gerade auf einer gedanklichen Reise durch das Miller'sche Wohnzimmer. Ihr Blick gleitet über die ausgestopften Hirschköpfe an den Wänden und bleibt an einem schweren Eichenschrank kleben, der mit aufwendigen Schnitzereien verziert ist. Der Schrank ist mindestens drei Meter hoch und ebenso breit. Herrman bemerkt ihre Neugier. Er streicht Nina übers Haar.
    »Gefällt dir der Schrank, Mädchen ?« , fragt er und wartet keine Antwort ab. »Dann warte mal ab, was drin ist. Du wirst staunen .«
    Ich sitze kurz der Illusion auf, es könnte tatsächlich Steve da drin stecken.
    Herrman erhebt sich und nimmt Nina bei der Hand. Den Schrankschlüssel trägt er an einer Kette, die er direkt über seiner Wampe zwischen zwei Hemdknöpfen hervorzieht. Knarrend öffnen sich die Türen. Gleichzeitig klappt eine schwere Holzplatte nach vorn, die einen Teil des Schranks zu einer Art Tisch werden lässt. Dann präsentiert Herrman uns stolz seine Heiligtümer. Kleine und große Hirschgeweihe, Schuhkartons voller toter Vögel, abgeschnittene Hasenköpfe und jede Menge Chemikalien. »Ich präpariere Tiere !« , verkündet er stolz.
    »Im Wohnzimmer ?« , fragt Ruth ungläubig. Heather nimmt ihren Mann in Schutz. Sie habe ihn auch immer gebeten, seine  Utensilien woanders aufzubewahren, aber er schaue beim Präparieren nun mal so gerne Fernsehen. Herrman holt einen halb verwestes Frettchen aus einem Glas mit Formaldehyd. Ein beißender Geruch überdeckt den Duft des würzigen Gorgonzolas. Mir wird schlecht. Ich sehe Heather flehend an. Sie versteht und schickt mich in die erste Etage. Das Badezimmer ist das zweite rechts. Oben angekommen atme ich tief durch. Wenn ich mich recht an Steves Ausführungen bezüglich seiner Eltern erinnere, hat er die Herrschaften eher als eine Bilderbuch-Family aus einer Margarinewerbung geschildert. Stattdessen sitzen unten im Wohnzimmer Mr. Friedhof-der-Kuscheltiere mit seiner naiven Frau und ein notgeiler Kolonialwarenverkäufer, dessen Verbindung zur Seefahrt aus einem tätowierten Anker besteht. Nach dem Abendessen sollten wir uns schleunigst ein Motel suchen, beschließe ich schon mal vorsorglich.
    Auf dem Weg zum Badezimmer erregt eine angelehnte Tür meine Aufmerksamkeit. Ein handgemaltes Schild »Keep out« lädt mich geradezu ein, einen Blick hineinzuwerfen. Kurz vergewissere ich mich, dass unten die Tiershow noch in vollem Gange ist. Dann husche ich geschmeidig ins Zimmer. Steves Jugendzimmer, wie es aussieht. Überall hängen Wimpel von Baseball- und Football-Mannschaften. Ein paar Poster von Lynard Skynard zieren die Wände. Das Bett in der Mitte des Raumes ist akkurat gemacht. Alles picobello. Einzig der Kopfhörer an der Stereoanlage und ein paar offene Kassettenhüllen lassen vermuten, dass sich Sailor eventuell ab und zu hierher zurückzieht, um Musik zu hören. »Peter und der Wolf« steht auf dem einen Cover, und eine weitere Kassette ist der Soundtrack zu »Texas Kettensägen Massaker«. Wahrscheinlich nutzt doch eher Papa Miller diesen Raum als sein Musikzimmer. Vorsichtig setze ich mich auf das Bett und versinke sofort in den Tiefen der Spiralfedern. Das Gestell quietscht leicht. Ich halte den

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