Alice at Wonderland
nicht in letzter Se kunde enttarnt zu werden, begebe ich mich direkt in den Abflugbereich. Der Flugsteig ist bereits angezeigt, und ich bin die Erste am Gate. Ich okkupiere gleich drei Sessel und lege mich für ein halbes Stündchen schlafen.
»Schwarze Unterwäsche!« Im Halbschlaf höre ich eine Männerstimme, aber meine Lider sind zu schwer, um die Augen zu öffnen.
»Mach mal ein Foto!«
»Geil!«
Ich höre den Auslöser einer Kamera klicken und spüre den hellen Schein eines Blitzlichtes. Ich schrecke hoch.
Drei Männer in T-Shirts mit der Aufschrift »Bier formte diesen wundervollen Körper« haben einen Winkel ent deckt, von dem aus sie mir geradewegs unter den Rock sehen können. Ruckartig presse ich die Beine zusammen und setze mich auf. Viel zu benommen für eine angemessene Reaktion schaue ich mich um und stelle fest, dass ich die einzige Frau im gesamten Wartebereich bin. Jörg, der einzige anwesende Mann, der weniger als neunzig Kilo auf die Waage bringt, bemerkt meinen entsetzten Blick. So et was wie ein schlechtes Gewissen packt ihn, und er nimmt dem Spanner den Fotoapparat ab. Dann setzt er sich zu mir. Und während er unter Protest der anderen die Bil der auf dem Chip der Kamera löscht, erfahre ich, dass ich den Platz von Marc-Oliver habe. Der sei krank geworden, wahrscheinlich irgendeine harmlose Geschlechtskrank heit, und könne nicht mit nach Mallorca. Der Rest der Jungs sei aber auch in Ordnung. Alles Kampf trinker und passionierte Modelleisenbahnbauer. Und er erklärt sich bereit, mit mir das Zimmer zu teilen, denn er sei der Ein zige hier, der nicht verheiratet sei, und er wolle die Kolle gen nicht dazu verleiten, ihre Frauen zu betrügen. Als ich sichergestellt habe, dass wirklich kein einziges Foto von mir mehr gespeichert ist, beschließe ich, den Flug nicht anzutreten. Auch die Versprechen einiger Männer, mich in Sangria baden zu lassen oder mich zu wählen, falls ich mich im »Oberbayern« zur Miss-Wet-T-Shirt-Wahl stel len sollte, können mich nicht umstimmen.
Als das Boarding beendet ist, bleibe ich vereinsamt an Gate 13A zurück. Leider erfahre ich, dass mein Gepäck bereits verladen wurde und ich keine Chance habe, es in den nächsten zwei Wochen wiederzubekommen. Was soll's. Ein vergleichsweise kleines Opfer, wenn ich mir vorstelle, was mich mit den Modelleisenbahnern erwartet hätte. Dann stehe ich wieder in der Abflughalle. Vielleicht will das Schicksal ja auch, dass Alex allein am Ballermann Sangria-Prüfungen bestehen muss. Schade, hätte ja ganz nett werden können, falls ich Alex wirklich getroffen hätte. Und möglicherweise hätte ich auch erfahren, war um man den Spinat in dem Rezept auf Seite 17 in seinem Kochbuch erst blanchieren soll.
Doch für mich hält Fortuna sicher etwas anderes bereit. Ich sollte mich umorientieren. Es gibt noch andere Inseln. Vor dem Last-Minute-Schalter sammeln sich Hunderte von Urlaubern, und ich bin kurz geneigt, mein Vorhaben abzubrechen und meine freien Tage doch in der eigenen Wohnung zu verbringen. Da tippt mir jemand von hin ten auf die Schulter. Es ist Martin aus dem Reisebüro, in Begleitung einer ziemlich süßen Zwanzigjährigen. Er ist mir überhaupt nicht mehr böse. Im Gegenteil. Martin ist supergut gelaunt und gibt mir den Tipp, am Schalter von Germanwings nach Dunja zu fragen. Die könne mir wei terhelfen, wenn ich doch noch irgendwo hinfliegen wollte. Jetzt müsse er sich aber beeilen, seine Maschine nach San Francisco starte gleich. Martins Begleitung grinst mich im Gehen breit an und raunt mir ein »999 plus Tax« zu. Dann sind die beiden auch schon weg.
Dunja von Germanwings erinnert sich gut an meinen Reiseberater, und als ich ihr glaubhaft versichern kann, dass ich nicht mit ihm geschlafen habe, will sie mir sogar weiterhelfen.
»Du musst also für die nächsten paar Wochen untertau chen«, resümiert sie meine Ausführungen.
Und als ich erfinde, dass ich meinem Exfreund damit einen Denkzettel verpassen will, habe ich sie auf meiner Seite. Dunja telefoniert rum, und schon eine Viertelstunde später sitze ich für 19 Euro im Flugzeug nach Berlin mit einem Zettel in der Hand, auf dem steht: »Hotel Riverside, Berlin Mitte, nach Sandra fragen.«
Endlich komme ich zur Ruhe. Gut, denke ich, Berlin ist immer eine Reise wert. Und schließlich war ich seit kurz nach dem Mauerfall nicht mehr da. Da hat sich eine Menge getan. Der ganze Potsdamer Platz war damals noch Brach land, und man konnte für zehn Mark am
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