Alice at Wonderland
heiraten müsste. Wenig Be geisterung spricht aus meinem Gesicht, und Martin bietet mir alternativ an, doch wenigstens mit ihm zu schlafen, dann bekäme ich das ganze Package für 999 plus Tax. Aus meinem Zögern schließt er, dass er wohl nicht ganz mein Typ ist. Aber man müsse auch mal Opfer bringen, wenn man ein Budget-Traveller sei. Und für ein bisschen Knut schen könne er mir auch schon ein günstiges Wochenende im Oberharz besorgen.
Irgendwie ist er sauer darüber, dass er sich stundenlang für mich durch den Computer gewälzt hat und ich den Laden nun wortlos verlasse.
»Dann buch doch deinen Scheiß-Urlaub alleine!«, don nert er mir hinterher.
Und das ist genau die richtige Idee. Kaum zu Hause, gehe ich ins Internet. Online-Flüge buchen ist echt ein Kinderspiel. FRA nach SFO (San Francisco - das habe ich von Martin gelernt) und zurück von Los Angeles. Tipp, tipp, tipp. Alle Angaben drin, und Enter. Leider ist zu allen meinen Wunschterminen nichts mehr frei. Und die Ausweichtermine sind
11. April nächstes Jahr oder in fünfunddreißig Minuten. Hm, scheint doch schwieriger, als ich gedacht habe. Aber USA ist trotzdem ein gutes Reiseziel, finde ich, und Strandurlaub würde mir sicher ganz gut tun. Schließlich finde ich, was ich gesucht habe. Zwei Wochen Miami. Zu meinen Urlaubsdaten sind tat sächlich noch Flüge verfügbar. Und das Ganze für sagen hafte 499 Euro inklusive Hotel. Nur noch kurz meine Kreditkartennummer eingeben und Enter. Anscheinend hat der Rechner die Buchung nicht registriert. Nochmal Enter und ... nochmal... und ... Ich bekomme den Tipp, die Buchung noch einmal über den Sicherheitsserver zu probieren. Und siehe da, schon beim zweiten Versuch klappt's!
Prompt bekomme ich eine Bestätigung per E-Mail: Ge bucht sind fünf Florida-Pakete für zusammen 2495 Euro. Der Betrag wird von meiner Kreditkarte abgebucht. Das gibt's ja wohl nicht! Sofort-Storno. Aber da hat sich plötz lich AOL verabschiedet, und ich komme den Rest des Abends nicht mehr ins Internet.
Frustriert beschließe ich, meinen Urlaub zu Hause zu verbringen. Gott sei Dank komme ich am nächsten Tag wieder ins Netz. Nachdem ich meine Kreditkartennum mer für eine Stornogebühr in Höhe von 395 Euro einge geben habe, werden alle Buchungen wieder gecancelt.
»Boah! Du hast es gut! Ich bin sooo neidisch!«, sagt Katja, meine Volontärin, und knickt die Müsli-Ecke ih res Joghurts so schwungvoll um, dass eine Ladung Crisps und Rosinen auf meiner Computertastatur landet. Wo ich denn nun eigentlich hinfliege, will sie wissen, während sie mit der Nagelfeile die Zerealien unter dem B, M und N hervorpult. Selbstbewusst setze ich mich aufrecht und will gerade mit fester Stimme zu meiner Entscheidung, zu Hause zu bleiben, stehen, als zwei weitere Kollegen beginnen, mich um meinen Urlaub beneiden.
»Mensch echt, bei dem Wetter hier bleiben ist voll die Strafe! Du hast es sooo gut. Wo fliegst du eigentlich hin?«
Als drei weitere Arbeitskollegen mir versichern, dass nur dumme oder kranke Menschen in ihrem Urlaub zu Hause bleiben, platzt mir der Kragen.
»Wenn ihr denkt, ich fahre im Urlaub nach Spanien oder Griechenland oder Gran Canaria, dann habt ihr euch schwer getäuscht!«, donnere ich los. »Man muss nicht im mer irgendwo in die Sonne fliegen, um sich zu erholen. Dieses Jahr ...«, fahre ich fort und sehe in die gespannten Augen der kompletten Redaktion, »dieses Jahr...« - oh mein Gott, wie erwartungsvoll sie mich ansehen -, » die ses Jahr ...« - ich schaff's nicht! Mein Blick fällt auf die Obstschale auf meinem Schreibtisch -, »dieses Jahr fliege ich nach New York!«
Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, den ande ren zu erklären, warum ich mich ausgerechnet für den Big Apple entschieden habe, wie ich zum 11. September stehe und dass es eine gute Gelegenheit sei, sich das Rauchen abzugewöhnen. Schließlich überzeuge ich auch den Prak tikanten, der seine politischen Ansichten immer morgens aus der Spiegel-Seite im Internet zieht, dass man durchaus in die USA reisen kann, ohne ein Kriegstreiber zu sein. Ich nehme eine Wunschliste mit Bestellungen entgegen für Dinge, die in Amerika ja viel billiger sind. Dann bedaure ich alle Kollegen, die in der nächsten Woche zu einer Fort bildung geschickt werden, während ich mir »42nd Street« am Broadway ansehen werde, und verspreche, dass ich vorsichtig bin und mich beim Flug nicht neben irgend welche Terroristen setze.
Endlich ist mein letzter Arbeitstag
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