Alice at Wonderland
»ich glaube, wir sind füreinander bestimmt!« Dann bin ich aufgewacht, aber das Bild dieses Mannes geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Vielleicht ist das ja Alex, denke ich und komme mir im selben Augenblick bei dem
Gedanken ziemlich albern vor. Andererseits, was wäre so schlimm daran, wenn Alex der große Blonde ist, dessen Bestimmung ich schon vor Jahren vorausgesehen habe. Das gäbe doch eine tolle Geschichte, die wir noch unse ren Enkeln erzählen würden. Die Vorstellung gefällt mir, und ich beschließe, das nächste Internetcafe aufzusuchen, um Alex von unsern Enkelkindern und meinen Visionen zu schreiben. Nur eine Straße weiter ist das Cafe Online, schwer origineller Name für eine Internetgastronomie, und ich mache mich auf den Weg dahin.
Als ich das Cafe betreten will, legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich fahre herum. Vor mir steht ein großer blonder Mann, der mich breit angrinst. »Warten Sie!«, sagt er und sieht dabei nicht ganz so viel versprechend aus wie in meinem Traum. Dann fährt er fort: »Ich glaube ... Sie haben da hinten am Geldautomaten Ihre Handtasche stehen lassen.« Er drückt mir meine Prada-Imitation in die Hand, grinst noch einmal breit. Als ich ein »vielen Dank« gestammelt habe, ist er mit einem »Keine Ursache« auch schon wieder verschwunden. Kein Wort von »wir sind füreinander bestimmt«. Kann sein, dass ich mich an mei nen Traum doch nicht mehr so gut erinnere. Vielleicht verklärt man ja auch einiges im Laufe der Zeit. Jedenfalls scheint das nicht ganz die Art Geschichte zu sein, die ich Alex jetzt unbedingt schreiben möchte. Darüber hinaus fällt mir auf, dass ich ja kein Geld mehr habe und somit das Cafe ohnehin für mich gestorben ist. Dann denke ich an den geifernden Herrn Pfennigfuchser zwei, der mit meinen Passbildern in der Hand noch immer darauf war tet, bis ich von der Zentralkasse im Stadthaus zurück bin.
Acht U-Bahn-Stationen weiter finde ich schließlich ei nen funktionstüchtigen Geldautomaten. Zwar nicht von meiner eigenen Bank, aber die vier Euro Fremdabhebungsgebühren sind mir die Sicherheit wert, nicht in einen Überfall verwickelt zu werden. Dummerweise habe ich in dem Moment, als meine ec-Karte in den Tiefen der
Maschinerie verschwindet, meine Geheimzahl vergessen. Es war irgendwas mit 3 ... 8 ... und dann 6 4 oder 4 6. Ich probiere die zweite Möglichkeit und habe prompt ei nen Versuch verspielt. War ja klar. 3 8 4 6 ist ja auch die Pin für mein Handy, fällt mir in der Sekunde ein. Aber es ist sowieso ziemlich nervig, mit all diesen Geheimnum mern und Passwörtern. Bei eBay heiße ich Ali69ce, und mit Passwort rijo, weil ich zur Zeit der Anmeldung voll auf Rittersport Joghurt stand. Bei amazon habe ich Alice als Passwort, und jeder, dem ich das gesagt habe, hat mich für bescheuert erklärt. Eigennamen seien die Passwörter, die am ehesten geknackt würden. Was in meinem Fall ja gar nicht mehr nötig ist, da ich sowieso allen davon erzählt habe. Mein Computer in der Firma hat das Passwort Niki ta, wegen des Films »Little Nikita« mit River Phoenix, und mein Computer zu Hause öffnet die magischen Tore nach Eingabe von Simsalabim. Was ich damals für sehr originell hielt - mittlerweile aber oft nicht mal mehr weiß, ob ich die Zugangsberechtigung in Groß- oder Kleinschreibung bekomme. Man wird zwar jedes Mal ermahnt, diese Ge heimwörter und Zahlen nirgendwo aufzuschreiben, aber ich habe es trotzdem gemacht. Getarnt als Namen und Telefonnummern in meinem Adressbuch. Und das ist in diesem Fall meine Rettung. Ich hole das kleine, speckige Lederbüchlein aus meiner Handtasche und schaue unter dem Namen »B. Ankzahl« nach. Dort finde ich die Te lefonnummer 0171 - 2717. Die Vorwahl ist natürlich nur Tarnung, aber die Rufnummer ist meine verschlüsselte Geheimzahl. Okay, vierstellige Handynummern gibt es zwar eigentlich nicht, aber sonst würde es mir zu kompli ziert. Trotzdem muss erst mal jemand auf die Idee kommen. Also: tipp, tipp, tipp, tipp ... und im Handumdrehen habe ich hundert Euro mehr in meiner Tasche.
Der Rückweg geht zunächst schneller, als ich befürchtet hatte, denn ich erwische den Bus Linie 132 noch an einer roten Ampel. Der Fahrer ist so freundlich, mich hineinzulassen. Unglücklicherweise gibt es ein paar Straßen weiter einen tierischen Stau, der mich eine satte Stunde kostet. Später erfahre ich, dass ein Gebäudekomplex weiträumig abgesperrt werden musste, da die Polizei eine Wohnung gestürmt hat, in der sie
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