Alice at Wonderland
fast alle Männer in seinem Alter an den Tag legen, die glauben, eine Frau mit gut verpacktem Halbwissen beein drucken zu können. Insbesondere dann, wenn die Frau bei einer Vernissage einen Zahnpastafleck auf der Bluse hat. Er erklärt mir, warum van Gogh sich sein Ohr abge schnitten hat, und dass das für Van Cock der traumatische Auslöser war, mit der Peniskunst zu beginnen. Als ich ihn nach weiteren zehn Minuten noch immer nicht geküsst habe, gibt er auf.
»Sie haben mich durchschaut!«, gibt er resigniert zu.
»Wenn Sie damit meinen, ich habe erkannt, dass Sie kein Interesse an Kunst haben und lediglich versuchen, hier Frauen abzuschleppen, dann ja!«, entgegne ich.
Er windet sich noch kurz, gibt mir dann aber teilwei se Recht. Allerdings wäre er tatsächlich Künstler, und er könne mir anbieten, für ihn Aktmodell zu spielen. Net ter Versuch, denke ich. Erst als ich ihm erkläre, dass mein Freund sicher nicht davon begeistert wäre, lässt er von mir ab.
»Du hast einen Freund?«, will Ruth wissen.
»Ja, natürlich, Alex«, erwidere ich und zwinkere ihr zu, das Spiel mitzuspielen.
»Alex? Der, den du übers Internet kennen gelernt hast?«
»Genau der! Wir sind jetzt zusammen!«, sage ich und sehe im Augenwinkel, wie der vermeintliche Kunstkenner ansetzt, etwas zu sagen. Aber ich falle ihm ins Wort.
»Und er ist kein Perverser! Alex ist ein Mann, wie ihn sich eine Frau wünscht. Verständnisvoll, mit viel Humor, zärtlich. Kein Angeber mit weißem Schal ...«, weiter komme ich nicht, denn in dem Augenblick hat Ruth sich dazu durchgerungen, ihr Kleid für fünfhundert Euro zu verkaufen, und lässt den Stoff vorsichtig zu Boden glei ten. In der Sekunde, als sich alle Anwesenden anfangen zu wundern, warum meine Freundin Angora-Unterwäsche trägt, betritt Van Cock erneut den Saal. The Master has just entered the building, und alles andere ist sofort Ne bensache.
Später in der Bahn versuche ich Ruth zu trösten. Okay, sie ist ihr Kleid nicht losgeworden. Na schön, Van Cock hat auch ihre Thermo-Unterwäsche mit Farbe bekleckert, und der anwesende Lokalreporter hat Fotos gemacht, als sie über den Eimer Ockerfarbe gestolpert ist, aber sooo peinlich war es nun auch wieder nicht. Ruth schluchzt und knibbelt mit ihren schön gefeilten Fingernägeln einen Tropfen Violett vom Saum ihres ungewollten Designer- Kleides. Aber Ruth ist letztlich hart im Nehmen und är gert sich im Grunde nur über die versaute Garderobe und darüber, dass sie um ein Haar fünfhundert Euro verdient hätte. Schnell wechselt sie das Thema und will wissen, was denn nun an der Sache mit mir und Alex dran sei.
»Nichts«, entgegne ich. »Absolut nichts. Ich hab das nur erfunden, um den Kunstfuzzi loszuwerden ... Aller dings ...«, ich sehe Ruth nachdenklich an und mache eine rhetorische Pause. »Allerdings, wenn Alex so ist, wie seine
Briefe vermuten lassen, dann handelt es sich bei ihm min destens um einen Traumprinzen.«
Ruth drängt mich, mich doch endlich mal mit meiner E-Mail-Bekanntschaft zu verabreden, aber ich weiß nicht. Man hört ja so viel über Dates aus dem Internet...
Zwei Stationen später steigt Ruth aus. Wir könnten ja nachher nochmal telefonieren. Ich schaue auf die Uhr. Zehn vor sechs. Könnte klappen mit der Autowerkstatt.
Der Meister will gerade das Hallentor schließen, als ich den Hof der Werkstatt betrete. Er deutet auf seine Arm banduhr und schüttelt den Kopf. Aber ich wäre keine rich tige Frau, wenn ich ihn nicht dazu bringen könnte, noch einmal aufzusperren. Und es geht leichter, als ich dachte. Der Meister ist schätzungsweise Ende vierzig, und es genügt schon, beim »ach bitte«-Sagen meine Hand auf sei nen Unterarm zu legen. Er nimmt mich mit in sein Büro, während er den Azubi losschickt, um meinen Wagen aus der Halle zu fahren.
Zunächst scheint der Lehrling etwas begriffsstutzig, denn er bewegt sich keinen Millimeter von der Stelle. Dann fällt uns aber auf, dass der Kleine nicht richtig zu gehört hat, da er sich ausgesprochen fasziniert von meinen Beinen zeigt. »Ich mach dir gleich Beine!«, donnert ihn sein Chef an. Als der Azubi weg ist, fühlt sich der Meister verpflichtet, sich für seinen Angestellten überschwänglich zu entschuldigen. Auch er sei hellauf begeistert von meinen Beinen und gibt zu bedenken, dass es ja nur allzu verständlich sei, wenn man von dem Anblick fasziniert wäre. Ich wünschte, ich hätte Ruth geschickt, den Wagen abzu holen. In ihrem Maler-Klecksel-Outfit
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