Alice at Wonderland
Internet träfe man aus schließlich Perverse, gibt er mir zu verstehen. Wenn ich mir den Schlipsträger so anschaue, dessen Blick mittlerweile wieder in meiner Bluse verschwunden ist, gelange ich zu der Überzeugung, dass er weiß, wovon er spricht. Plötzlich habe ich eine Idee. Ich setze mich aufrecht hin, was bei meinem Stuhl, der mindestens dreißig Zentimeter niedri ger ausfällt als der des Bankers, gar nicht so leicht ist.
»Wissen Sie, ich wollte Sie nur testen«, sage ich. »Ich brauche keine 200 000 Euro für ein Häuschen im Grünen. Die Wahrheit ist, ich ärgere mich schon lange über mein Betriebssystem. Und ich brauche 45 Milliarden Dollar, damit ich Microsoft kaufen und übernehmen kann.«
Pfennigfuchser legt den Kopf schräg und lächelt verschwörerisch. Dann streicht er die Zahlen auf seinem Notizblock durch und beginnt erneut zu rechnen. Seine Miene hellt sich zusehends auf, und schließlich schiebt er mir den Zettel mit dem Ergebnis zu.
»Da lässt sich was machen. Bei einer Laufzeit von 90 Milliarden Jahren hätten sie eine monatliche Belastung von knapp 3 Cent. Ich denke, da reichen Ihre Brüste als Sicherheit aus!«
Wir reichen uns die Hände. Der Deal ist perfekt, und Herr Pfennigfuchser beginnt mit dem Papierkram. Ich suche in meiner Handtasche nach dem fliederfarbenen Lippenstift, den ich für 50 Cent bei Schlecker gekauft habe. Da packt mich ein Mann mit schwarz-gelber Motorradhaube, aus der nur eine vernarbte Claude-Oliver-Rudolf-Nase hervorlugt, von hinten und zerrt mich von meinem Miniatur-Stuhl.
»Keine Panik!«, herrscht er mich an, als ich versuche, mich Houdinimäßig aus seinem Griff zu winden. »Ihnen passiert nichts, wenn Sie sich kooperativ verhalten!«
Ich erfahre, dass ich mich mitten in einem Banküberfall befinde, der anders gelaufen ist, als er sich der Motorrad- Mann und seine drei Komplizen vorgestellt haben.
»Ich dachte, das geht alles ganz schnell. Rein in die Bank, Kohle her und raus«, erklärt mir der Gangster, als er mich mit seinem Revolver Richtung Schalterraum bug siert. »Aber dummerweise waren die Bullen zu schnell hier. Jetzt müssen wir eben Geiseln nehmen.«
Ich sehe ein, dass hinter seinem Verhalten tatsächlich keine böse Absicht mir gegenüber steckt, und um sein Vertrauen zu gewinnen, versichere ich ihm, dass ihn die Motorradhaube ausnehmend gut kleidet. Und es funktio niert. Der Bankräuber drängt mich zu einem Telefon und erlaubt mir, meinen Freund anzurufen. Da muss ich aller dings mal wieder passen.
»Aber ich habe da übers Internet ...«, fange ich an, als
mich der Gangster unsanft in die Wartecouch der Schal terhalle schubst.
»Ich will dir mal was sagen, Mädel«, poltert er los, »im Internet gibt es nur Perverse. Und ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst dich nicht auf so was einlas sen.«
Um seinen Ausführungen Nachdruck zu verleihen, gibt er mir wie selbstverständlich eine saftige Ohrfeige. Und dann noch eine, und noch eine. Schließlich beugt er sich über mich und brüllt laut »piep piep piep piep« in mein Ohr.
Ich schrecke hoch. Mein Wecker zeigt 7.59 Uhr. Und in einer Stunde muss ich zum Zahnarzt. Mann, was für ein bescheuerter Traum. Ich wüsste zu gerne, wie ich auf derartig wirres Zeug komme. Gut, ich habe gestern vor dem Einschlafen Stefan Raab geschaut, das erklärt die Gewaltphantasien gegen Ende ... aber sonst? Egal, denke ich, während ich mir die Zähne äußerst gründlich putze und noch mit Zahnseide nacharbeite, als könnte ich damit die Versäumnisse der letzten zwölf Monate wieder gut machen.
Heute ist ein klassischer »Ich erledige Dinge, die ich schon lange vor mir herschiebe«-Tag. Zuerst Zahnarzt, dann einen neuen Personalausweis beantragen, dann ein paar Überweisungen machen und so weiter. Weshalb wahrscheinlich die Bank in meinem Traum vorkam. Noch ein kurzer Blick in den Spiegel. Super. Auf meiner dunkel grünen Bluse ist ein Zahnpastafleck. Aber kaum zu sehen. Kann ich mit dem Halstuch verdecken. Meine Brüste sind auch okay. Dann also los.
»Ich habe einen Termin für 9.00 Uhr. Nur nachsehen!«, sage ich der Sprechstundenhilfe, die so lange nicht mit mir reden will, bis ich die zehn Euro Praxisgebühr bezahlt habe. Dann weist sie mich darauf hin, dass ich zu spät sei
- ganze fünf Minuten - und dass ich entsprechend noch etwas warten müsse.
Ich begebe mich ins Wartezimmer und bin dort die Ein zige. Um mich abzulenken, blättere ich ein paar Zeitschrif ten durch und erfahre,
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