Alice at Wonderland
feststellen muss, dass mittlerweile kein einziger Platz im Wartebereich mehr frei ist.
»Hey, Alice. Das ist ja ein Ding. Was machst du denn hier?«
Es ist Nina, und die Sache mit dem Auf-den-Bus-war ten verkneife ich mir an dieser Stelle. Ich erkläre ihr, dass man hier eine Nummer ziehen müsse, doch sie gibt mir zu verstehen, das wüsste doch jedes Kind. Sie sei zwar verheiratet, aber nicht verblödet. Unschuldig pfeifend stecke ich meine Nummer wieder in die Handtasche. Wir setzen uns, als eine armenische Familie ihre Zelte abbricht und mit den Kindern und den Schafen weiterzieht. Nina will einen Reisepass beantragen, erfahre ich. Sie hat vor, vielleicht für ein paar Wochen nach Kanada zu fliegen.
»Aber nicht mit Markus«, fügt sie viel sagend hinzu. Mehr ist allerdings nicht aus ihr herauszukriegen. Bis auf die Tatsache, dass es da jemanden in Markus' Firma gibt, den sie ganz schnuckelig findet. Sosehr ich auch bohre,
Nina schweigt sich aus. Mir fällt dabei gar nicht auf, dass sie im Gegenzug gezielte Fragen zu meinem Liebesleben stellt, die ich ohne großartig nachzudenken beantworte.
»Also, du hast dich irgendwie in diesen Alex verliebt, richtig?«, stellt sie fest.
»Hab ich das eben gesagt?«, will ich wissen, denn ich habe keine Ahnung mehr, was ich noch vor ein paar Se kunden von mir gegeben habe.
»Nicht so direkt«, entgegnet Nina, aber sie gibt mir zu verstehen, dass sich aus der Häufung der Worte »Alex«, »toll«, »verständnisvoll«, »Alex« und noch mehrmals »Alex« ein entsprechender Rückschluss ziehen ließe. Schließlich muss ich zugeben, dass ich meine Internetbe kanntschaft schon sehr nett finde.
»Da wäre ich vorsichtig!«, raunt mir ein Tamile zu, der unser Gespräch belauscht hat, »da sind nur Perverse im Internet!«
Ich will etwas erwidern, als Nina unvermittelt aufsteht. Ihre Nummer ist gerade aufgerufen wurden. Nina hat Nummer 240. Ich stutze und hole meine 467 hervor.
»Du bist nach mir gekommen, das ist unfair!«, jammere ich und halte Nina meinen Zettel unter die Nase, in der Hoffnung, sie würde mit mir tauschen. Was sie nicht tut. Mitleidig klärt sie mich lediglich darüber auf, dass die gel ben Nummern, und davon habe ich eine, für die Asylbewerber sind. Die roten Nummern führen zur Passstelle. Nina entschuldigt sich und verabschiedet sich in Richtung Schalter. Unter dem Gegröle und Gelächter von Asylan ten aus aller Welt ziehe ich eine rote Nummer, 242, und bin nach wenigen Sekunden an der Reihe.
Ein pickliger Stadtbeamter mit hässlicher Krawatte er klärt mir, dass ich auf den Fotos ein bisschen »mitgenom men« aussehen würde und zuallererst dreißig Euro an der Zentralkasse einzahlen müsse, sonst ginge hier gar nichts. Während ich aufstehe, glotzt er auffällig in meinen Aus schnitt, und als ich das Namensschild »Pfennigfuchser«
auf seinem Schreibtisch entdecke, fange ich an, an Dejà vus zu glauben.
An der Kasse stelle ich fest, dass ich meine letzten zehn Euro beim Zahnarzt gelassen habe. Der Geldautomat im Stadthaus ist kaputt, und ich finde mich auf dem Weg zu meiner Bank wieder. Was soll's. Da wollte ich ja sowieso hin. Dummerweise ist auch hier der Außen-Geldautomat defekt. In die Bank hinein komme ich allerdings nicht. Mehrere Polizeiwagen blockieren die Straße, und eine Menschenmenge verhindert die freie Sicht auf den Eingang. Von einer Passantin erfahre ich, dass die Bank vor einer halben Stunde überfallen wurde. Drei Räuber, einer von ihnen...
»... trug eine schwarz-gelbe Motorradhaube«, ergänze ich.
»Woher wissen sie das?«, hakt die Passantin nach, aber ich gewähre ihr keinen Einblick in meine Träume. So et was wie »das tragen die doch immer« ist meine Erklärung, und ich mache mich auf die Suche nach einem anderen Geldautomaten. Das mit den Überweisungen streiche ich also auch von meiner imaginären Liste. Ist aber halb so schlimm. Ich bin nur froh, dass ich vergangene Nacht nicht von einer Atombombe geträumt habe, denn dann könnte ich wohl alle weiteren Erledigungen vergessen.
Schon komisch, wie Träume sich manchmal ins echte Leben schmuggeln, und umgekehrt. Meine Oma hat im mer gesagt: »Das, was man in der ersten Nacht in einer neuen Wohnung träumt, geht in Erfüllung!« Als ich da mals hierher gezogen bin, habe ich in der ersten Nacht von einem großen blonden Mann geträumt, der auf der Straße hinter mir herläuft und mich vor einem Cafe an spricht. »Warten Sie«, hat er damals in meinem Traum ge sagt,
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