Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
immer nur endlose Geschichten von John. Aber wenn John gar nicht Teil ihres Lebens war, wer dann? Drehte sich ihr Leben etwa nur um den Job bei Table For Two?
Und was – meldete sich eine nagende Stimme beharrlich immer wieder zu Wort –, wenn Audrey vorgab, mit John verheiratet zu sein, weil sie sich im tiefsten Inneren ihres Herzens nichts sehnlicher wünschte? Was, wenn sie rettungslos in ihn verliebt war und die Hoffnung, diese Liebe könne eines Tages erwidert werden, das Einzige war, was ihr Kraft und Zuversicht gab?
Im Zickzack bahnte sich Alice den Weg zur Damentoilette. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich gegen den Spiegel und versuchte, das Bild der einsamen, unglücklich verliebten Audrey aus ihrem Kopf zu vertreiben. Unvermittelt erschien eine andere Szene vor ihrem inneren Auge: der Traum von letzter Nacht – in dem sich John vorgebeugt hatte, um sie zu küssen. Nur wenige Zentimeter hatten sie noch von seinen Lippen getrennt, und nun verbanden sich Gewissensbisse und Glücksgefühle zu einer verwirrenden, schwindelerregenden Mischung. Zittrig atmete Alice aus, und ihr Atem malte ein kleines Wölkchen auf den Spiegel.
John
J ohn hielt vor dem Four Seasons Hotel, ging um das Auto herum zur Beifahrertür und half Janey aus dem Wagen. Sie lächelte ihn dankbar an, denn eigentlich hatte sie eine Heidenangst. Fürsorglich nahm er ihre Hand, legte sie auf seinen Arm und führte sie die Treppe hinauf in die Lobby.
Janey hatte ihn heute Abend zum zweiten Mal engagiert, und zwar anlässlich der von ihr schon lange im Voraus gefürchteten alljährlichen Unternehmensfeier. Sie arbeitete in der Versicherungsbranche, und ihre Kollegen schienen von der besonders fiesen, unerbittlichen Sorte zu sein. Als ihr Mann sie und die drei kleinen Kinder einfach sitzengelassen hatte – wegen einer Frau, die halb so alt war wie sie und mehrere Kleidergrößen schlanker –, hatte sie ihren Kollegen nicht gestehen wollen, dass ihre ganze Welt in Trümmern lag. Nicht, dass sie die mitleidigen Blicke gefürchtet hätte, die hätte es ohnehin nicht gegeben. Nein, sie hatte Angst, ihre persönlichen Lebensumstände könnten gegen sie verwendet werden. Sollte sie einmal ein Meeting versäumen, würde man das ihren Verpflichtungen als alleinerziehende Mutter ankreiden und ihre Prioritäten infrage stellen; sollte sie ihre Verkaufsziele nicht erreichen, würde man es auf ihren fragilen Seelenzustand schieben. Alles war Munition, um sie bei zukünftigen Beförderungen zu übergehen – Beförderungen, die Gehaltserhöhungen mit sich brachten, die sie nun mehr denn je brauchen konnte. Weshalb sie ihre Eheprobleme für sich behalten und alleine weitergekämpft hatte, ohne irgendwem ein Sterbenswörtchen von ihrem Kummer zu erzählen.
Und sie hatte sich tapfer geschlagen. Ihre Kollegen ahnten nichts, sie hatte keinen einzigen Tag bei der Arbeit gefehlt und all ihre Zielvorgaben erfüllt. Doch nun hatte das Leben ihr zwei weitere Steine in den Weg gelegt.
Der erste war die Hochzeit einer guten alten Freundin, zu der ihr Ex und seine Neue ebenfalls eingeladen waren. Absagen war keine Option. Also schien ihr nichts anderes übrig zu bleiben, als die Erniedrigung über sich ergehen zu lassen, allein hinzugehen und dabei zuzusehen, wie ihr Ex mit einer jungen Frau herumpoussierte, die einen straffen, nicht vom Kindergebären aus der Form geratenen Körper und unverheulte Augen ohne Tränensäcke hatte. Doch dann hatte eine Freundin Janey den guten Rat gegeben, ihrem Ex den Mittelfinger zu zeigen und sich für den Anlass einen gut aussehenden Leihmann zuzulegen. Und dieser gemietete Begleiter war John gewesen.
Der zweite Stein lauerte ebenfalls bereits unheilkündend in Janeys Kalender: das unvermeidliche alljährliche Firmenfest. Ehegatten waren ausdrücklich mit eingeladen, und wäre Janey allein hingegangen, hätte das unweigerlich für Aufsehen gesorgt. Sollten ihre Kollegen aber erfahren, dass ihre Ehe gescheitert war, gleichzeitig jedoch ihren knackigen neuen Kerl kennenlernen, würde Janey als starke, souveräne Frau dastehen. Die Beförderung läge immer noch im Bereich des Möglichen. Also hatte Janey ein zweites Mal Geraldines Nummer gewählt und Johns professionellen Begleitservice angefordert.
Und da waren sie nun, an dem Tag, vor dem Janey schon so lange gezittert hatte.
John hörte sie tief durchatmen, als sie den Veranstaltungsraum betraten, also legte er ihr beruhigend die Hand auf den Rücken. Er
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