Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
schlimm, dass er nicht perfekt ist. Ich hatte bloß nicht damit gerechnet, dass er ein …« – sie stockte, wollte es nicht laut aussprechen – »… Callboy ist.« Und das hatte sie wirklich nicht. In den unzähligen Tagträumen von ihrem Prinzen hatte Alice sich nie ausgemalt, ihr Traummann könne für Geld mit anderen Frauen anbandeln.
»Er ist doch kein Callboy. Er arbeitet bei einem Escort-Service.«
»Aber das ist doch dasselbe«, entgegnete Alice niedergeschlagen.
»Findest du?« Ginny überlegte kurz. »Ich bin zwar keine Expertin auf dem Gebiet käuflicher Männer, aber was er gesagt hat, könnte doch durchaus der Wahrheit entsprechen, meinst du nicht?«
»Soll heißen?«, fragte Alice verdutzt. Eigentlich hatte sie erwartet, Ginny würde ihr raten, sich John ein für alle Mal aus dem Kopf zu schlagen und ihn zu vergessen. Womit sie gar nicht gerechnet hatte, war, dass die Freundin ihn verteidigte.
»Na ja, es wird doch sicher auch Frauen geben, die wirklich nur einen Vorzeigemann für einen Abend suchen«, versuchte Ginny zu erläutern. »Ich kann gut nachvollziehen, dass es Situationen gibt, in denen es einem peinlich wäre, allein aufzukreuzen, vor allem, wenn der Ex ebenfalls kommt. Warum sich also nicht einen gut aussehenden Mann mieten, der ein bisschen als Schutzschild fungiert? Das heißt ja nicht, dass man gleich mit ihm ins Bett geht.«
»Ach nein?«
»Nein! Außerdem glaube ich, die meisten Frauen stehen nicht auf bezahlten Sex. Frauen wünschen sich Liebe und Romantik, sie wollen sich begehrt fühlen, etwas Besonderes sein. Der Sex soll mehr sein als eine rein körperliche Angelegenheit. Das solltest du doch eigentlich wissen; schließlich verstehst du besser als jede andere, was Frauen sich wirklich von Männern wünschen. Warum sollte es so was also nicht geben: einen gehobenen Escort-Service für die Dame von Welt? Vor allem, wo doch heutzutage jeder Zweite geschieden ist und überall erwartet wird, dass man ›mit Begleitung‹ erscheint.«
Nachdenklich schaute Alice aus dem Fenster. Ginny hatte nicht Unrecht. Wenn sie in all den Jahren als Partnervermittlerin eins gelernt hatte, dann das: Am Ende wollten alle Frauen nur eins – geliebt werden. Keiner ihrer Klientinnen ging es um Sex. Außerdem, wenn eine wirklich nur einen One-Night-Stand suchte, war das nicht angeblich die einfachste Sache der Welt? Gab es da draußen nicht massenweise Männer, die nur auf schnellen, unverfänglichen Sex aus waren? Kamen die Frauen nicht deshalb erst zu ihr, weil sie jemanden suchten, der mehr wollte als nur Sex?
»Hör zu, Alice«, sagte Ginny und unterbrach ihre Grübeleien. »Es ist dein Leben. Ich kann dir nicht sagen, was das Richtige für dich ist, aber zwei Dinge weiß ich ganz sicher. Erstens, John hat dich glücklich gemacht. Und zweitens, du irrst dich nie in einem Menschen.«
Alice biss sich auf die Lippe und senkte den Blick in ihren Schoß.
»Meinst du nicht, du solltest ihm wenigstens zuhören?«, fragte Ginny sanft. »Du versprichst ihm doch nichts, du brauchst bloß dazusitzen und dir anzuhören, was er zu sagen hat.«
Alice verzog das Gesicht und kämpfte gegen die Tränen. Bei Ginny klang das alles so einfach, aber das war es nicht. Nichts daran war einfach. Es war komplizierter als eine Schachpartie zwischen zwei Großmeistern.
»Und außerdem«, bohrte Ginny weiter, »sagtest du nicht, seine Tochter sei nett?«
Alice nickte. »Sehr nett sogar.«
»Dann bitte sehr: Das ist doch der beste Beweis, dass er die Wahrheit sagt!«, erklärte Ginny. »Callboys haben keine netten Töchter.«
Es klopfte an der Tür.
Mit einem dünnen Lächeln wischte Alice sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf.
»Alice Brown?«, fragte der Mann an der Tür. Er trug eine wasserabweisende Jacke und grinste über das ganze Gesicht. »Die sind für Sie.« Und damit reichte er ihr einen riesengroßen Strauß Chrysanthemen. Die makellos weißen Blüten leuchteten förmlich im Grau des regnerischen Tages.
»Danke«, schniefte Alice überrascht.
»Holla, von wem sind die denn?«, fragte Ginny, als Alice mit dem Blumenstrauß in die Küche kam.
»Keine Ahnung. Es war keine Karte dabei.« Sie schaute sich die Blumen etwas genauer an.
»Chrysanthemen. Sind aber ein bisschen Omi-mäßig, findest du nicht? Die erinnern mich immer an die Hüte, die Queen Mum so gern trug.«
»Sie sind traumhaft schön«, verteidigte Alice die Blumen leidenschaftlich. »Schlicht und unprätentiös. Sie
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