Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
als sie zusammen auf dem Gehsteig vor dem Café standen. Er war ganz dicht vor ihr, und kurz dachte Alice, er würde seine Hand nach ihr ausstrecken und sie berühren. Ihr wurde schwindelig; sie war aus der Puste vom vielen Rennen, und auch, weil er plötzlich zum Greifen nahe vor ihr stand. Es tat so gut, ihm derart nahe zu sein. Ihr ganzer Körper sehnte sich danach, ihn einfach zu berühren.
»Ich sitze schon seit Stunden hier«, gestand er ihr leise. »Ich war mir nicht sicher, ob der Blumenbote sich wirklich an meine Zeitvorgaben halten würde, und ich konnte es einfach nicht riskieren, dass du früher als erwartet herkommst und ich nicht da bin.«
Unmerklich rückten sie noch ein wenig dichter zusammen, wie magnetisch angezogen. »Und jetzt küsst er mich«, dachte Alice bei sich. Erwartungsvoll hob sie das Gesicht zu ihm.
Und dann sah sie es.
»Ach!«, rief sie. Ihre Augen waren fest auf seine Brust geheftet. Sie konnte kaum glauben, dass ihr das erst jetzt auffiel; John trug einen Smoking.
»Ich muss heute Abend arbeiten«, erklärte er düster.
»Oh!« Alice’ Gesicht wurde lang vor Enttäuschung. Was um alles auf der Welt machte sie eigentlich hier? Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie hatte sich blenden lassen von der Hoffnung, von Blumen und Romantik. Nichts hatte sich verändert, rein gar nichts. Ein Hemd und ein Smoking verrieten ihr mehr als all die schönen Sträuße mit ihren versteckten Botschaften … John hatte heute Abend noch andere, wichtigere Termine.
»Alice, bitte .« Er konnte ihre Gedanken in ihrem Gesicht lesen. »Ich muss dir unbedingt etwas zeigen. Es ist gar nicht weit von hier. Du bist den ganzen Weg hierhergekommen; bitte geh jetzt nicht einfach wieder.«
Alice war viel zu verwirrt, um ihm zu widersprechen. Aber als sie dann wie betäubt neben ihm herlief, spürte sie schmerzhaft die wenigen Zentimeter zwischen ihnen, die sie trennten. In diesem Moment, als sie bei ihm war, ihn sehen konnte, ihn spüren konnte – was kümmerten sie da noch die anderen Frauen? Just in diesem Augenblick glaubte sie beinahe daran, das alles vergessen zu können. Das Einzige, was sie noch mit Bestimmtheit wusste, war, wie sehr sie sich danach sehnte, danach verzehrte, dass John sie berührte. Warum hatte er sie nicht umarmt? Wieso nahm er nicht ihre Hand? Da hatte er sich solche Mühe gemacht, und nun versuchte er nicht einmal, sie zu küssen. Wollte er das überhaupt?
Es hatte aufgehört zu regnen, und John lief mit großen, bestimmten Schritten die nassglänzende Straße entlang. Er wirkte fast wie ein Exot, wie er sich in dem feinen Zwirn durch die Trauben von Berufspendlern schlängelte. Niedergeschlagen beobachtete Alice, wie ihn die Frauen, die sie passierten, anerkennend musterten. Beschämt dachte sie an ihr rotes Gesicht und die nassen Haare. Mit John konnte sie einfach nicht mithalten. Er spielte in einer ganz anderen Liga.
Unvermittelt blieb er stehen.
»Da wären wir«, sagte er und drückte auf eine Messingklingel neben einer schwarz lackierten Tür. Neugierig spähte Alice auf das Namensschild. Darauf stand G. Ashby Appointments.
»Wo gehen wir hin?«
»Ich möchte, dass du jemanden kennenlernst. Meine Agentin.«
Alice klappte die Kinnlade herunter, und sie wollte gerade widersprechen, als plötzlich durch die knackende Gegensprechanlage eine Frauenstimme zu hören war. »Komm hoch, John!«, und dann schwang die Tür auf. John hielt sie ihr auf. Alice zögerte.
»Du könntest dir wenigstens anhören, was ich zu sagen habe.« Flehentlich schaute er sie mit seinen blauen Augen an.
Hilflos trat sie durch die Tür. Was machte sie hier?, fragte sie sich, während sie mit wild pochendem Herzen die mit dickem Teppich ausgelegte Treppe hinaufstieg. Sie wollte seine Agentin gar nicht kennenlernen! Was, wenn Ginny Unrecht hatte und er tatsächlich ein Callboy war? ›Agentin‹ war doch auch bloß eine nette Umschreibung für ›Puffmutter‹, oder etwa nicht? Das alles war ihr zu viel; damit hatte sie nicht gerechnet.
»Nur weiter«, sagte er. »Es ist im obersten Stock.«
Alice wurde panisch. Sie hatte hier nichts verloren. Sie war ein braves Mädchen – eine Gärtnerin. Und als Gärtnerin lernte man keine Zuhälterinnen kennen. Was würde sie da oben am Ende der Treppe erwarten? Ein Raum voller Neonschilder und leicht bekleideter Frauen? Männer mit Goldzähnen und eine Garderobe mit Gummimasken? Wobei ihr trotz allem nicht entging, dass der ansprechende marineblaue
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