Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
ihr um, und sie spürte, wie alle sie anstarrten.
»Alice«, schnurrte Sheryl bösartig. »Die liebe kleine Alice. Vertrauensselig wie immer.«
Alice schluckte schwer und machte sich darauf gefasst, von Sheryls manikürten Klauen in aller Öffentlichkeit zerfleischt zu werden.
»Was für ein loyales Mädchen«, zischte Sheryl giftig, »sogar ihrer hinterlistigen Arbeitgeberin gegenüber, die uns alle jahrelang nach Strich und Faden belogen hat.«
Und damit richtete sich Sheryls Aufmerksamkeit unvermittelt auf eine neue Zielscheibe: Audreys scharlachrotes Gesicht. Einen winzig kleinen Augenblick lang war Alice regelrecht erleichtert, doch dann fiel ihr Blick auf ihre Chefin. Sie hatte den Kopf gesenkt, und ihr Kinn zitterte bedenklich.
»Meine Damen und Herren«, verkündete Sheryl hämisch, »ich präsentiere Ihnen den unumstößlichen Beweis, dass der Mann, den unsere liebe Audrey Cracknell seit Jahren als ihren Ehemann vorführt, in Wahrheit nicht ihr Ehemann ist. Er ist ein Hochstapler. Nein, er ist noch schlimmer als ein Hochstapler, denn er arbeitet für einen Escort-Service; er ist ein Callboy !«
Entsetzt griff man sich kollektiv mit der Hand an die Brust und schnappte schockiert nach Luft.
»Er ist nichts weiter als ein bezahlter Begleiter, den Audrey engagiert, um uns eine Beziehung vorzutäuschen. Das ist nicht Mr John Cracknell. Er heißt Mr John Marlowe, und man kann ihn stundenweise mieten.«
Pikiertes Schweigen stand im Raum.
»Das glaube ich einfach nicht, Sheryl«, mischte Ernie sich ein, wie immer ganz die Stimme der Vernunft. »Bestimmt ist es nur ein Missverständnis. Ich kenne diesen Mann, und er wirkt grundanständig. Audrey und John lieben sich!«
»Das ist kein Missverständnis, Ernie«, wischte Sheryl seine Einwände verächtlich beiseite. »Und natürlich wirkt er anständig. Wenn man ihn bezahlt, ist er alles, was man möchte! Audrey lieben? Pah!« Mit einem grausamen Funkeln in den Augen lachte sie auf. »Vermutlich liebt er die Hälfte der weiblichen Stadtbevölkerung. Und wer weiß? Vielleicht auch die Hälfte der männlichen.«
Bei dieser Unterstellung hörte man ein entgeistertes Raunen. David Bennett von Perfect Partners starrte sie ungläubig an. Wendy Arthur von Loving Liaisons schüttete sich vor Schreck Tee in den Schoß.
»Ja, ganz recht«, fuhr Sheryl unerbittlich fort. »Unsere vorbildliche Audrey Cracknell nutzte die Dienste eines Strichjungen .«
Und dann brach die Hölle los, als alle begannen, wild durcheinanderzureden und entrüstet loszuplärren.
»Das ist er nicht! Das ist alles gar nicht wahr! Es ist ganz anders, als Sie denken!«, schrie Alice so laut, dass sie den Aufruhr damit wieder zum Schweigen brachte. Alle schauten sie erwartungsvoll an. Da erst merkte sie, dass sie aufgesprungen war. »Und das mit Audrey ist auch ganz anders!«, fügte sie nachdrücklich hinzu. »Sie verstehen das völlig falsch!«
»Es wird Zeit, dass Sie Ihre zuckersüßen Märchengeschichten hinter sich lassen, Alice, und endlich in der Realität ankommen.« Sheryls Stimme triefte vor Gift und Häme. »Sehen Sie den Tatsachen ins Gesicht, Miss Brown. Wir alle haben uns von einem angesehenen Mitglied unseres eigenen Berufsverbands zum Narren halten lassen.«
Und dann folgten alle mit ihrem Blick Sheryls manikürtem Zeigefinger, der anklagend auf die bebende, rotfleckige Audrey Cracknell deutete. Diese hatte die Augen starr auf ihren Schoß gerichtet. Alice sah, wie ihre Wangen zitterten und ihr Busen vor unterdrückten Gefühlsaufwallungen wogte.
»Meine Damen und Herren«, fuhr Sheryl unbarmherzig fort, wobei sie an eine große Katze erinnerte, die zum Biss in die Kehle einer Maus ansetzt. »Ich muss Ihnen mitteilen, dass Audrey Cracknell überhaupt nicht verheiratet ist. In Wahrheit ist Audrey Cracknell Single.«
Irgendeiner der Anwesenden stöhnte gequält auf. »Single« war ein Wort, das man unter Partnervermittlern nur ungern benutzt. »Single« war ein Verbrechen gegen ihren ganzen Berufsstand. Wendy Arthur gab die Versuche auf, ihren Rock trocken zu tupfen, und schlug entsetzt die Hand vor den Mund.
Alice schlängelte sich durch die Stühle und ging zu ihrer Chefin.
»Sie hat keinen Lebensgefährten«, spottete Sheryl. »Das macht sie zu einer vollkommen unqualifizierten Partnervermittlerin! Audrey Cracknell, die seit Jahren mit ihren angeblich ›professionellen‹ Tipps zur Partnersuche ihr Geld verdient, ist nichts weiter als …« – Sheryl legte eine Pause
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