Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
jedes Mal hatte Bianca sie so zuckersüß und verdutzt angeschaut, dass Audrey sich vorgekommen war wie ein Unmensch. Und natürlich wollte sie es sich auch nicht mit ihr verscherzen (schließlich sollten sich die Angestellten bei Table For Two wohlfühlen), also hatte sie sich im Laufe der Jahre zähneknirschend damit abgefunden, dass Bianca sich jeden Abend ein paar Minuten vor der Zeit verabschiedete.
Und so kam es, dass Bianca um 17.27 Uhr kaltblütig das klingelnde Telefon ignorierte, derweil Audrey tief durchatmete und versuchte, nicht die Contenance zu verlieren, bis Alice sich schließlich von ihren Unterlagen losgerissen hatte, nach dem Hörer griff und Audrey von ihrem Ungemach erlöste.
»Bye, zusammen«, rief Bianca fröhlich, und war auch schon in einer Parfumwolke aus dem Büro gerauscht.
Was augenblicklich vom harschen Scharren eines Stuhls gefolgt wurde, den jemand unsanft und lautstark zurückschob.
»Ja, schönen Abend allerseits«, trompetete Cassandra.
Vorsichtig löste Audrey ihr eingefrorenes Lächeln, als sie Cassandra geräuschvoll den Flur entlangstapfen hörte. Kurz darauf war das Gepolter verhallt, und im Büro war nichts mehr zu hören als das gewohnte sanfte Brummen der Computer. Um sich ein wenig zu beruhigen, warf Audrey einen Blick auf das Foto von John und wandte sich dann wieder ihrem Bildschirm zu.
So, wo war sie stehen geblieben? Ach ja. Max Higgert. Max war Architekt, ein gut aussehender, bescheidener Kerl, zweifellos mit sechsstelligem Einkommen. Ein echter Gewinn für die Agentur! Männer wie Max fielen einem nicht jeden Tag in den Schoß beziehungsweise in die Kartei. Ein Glück, dass er ständig Überstunden machte und generell eher schüchtern war, sonst wäre er längst vom Markt. Ein Mann mit Bildung und Geschmack, der sich den ganzen Tag mit nichts als klaren Linien und Ästhetik befasste. Audrey hatte ihn gesehen, als er gerade bei seinem Aufnahmegespräch mit Hilary war, nicht lange gefackelt und ihn auf der Stelle mit in ihr Büro genommen (das ihn mit seinen edlen Glaswänden fraglos beeindruckt hatte). Max Higgert verdiente den perfekten Service bei Table For Two und sollte sich nicht mit dem zweitklassigen Anblick einer hochschwangeren Angestellten namens Hilary Goggin herumschlagen müssen.
Audrey öffnete eine Datei und überflog die Profile der exklusivsten Damen in ihrer Kundenkartei.
Serena Benchley? Nein, zu alt.
Lorraine Hendy? Zu aufdringlich. Wenn sie etwas von Männern verstand – und dessen war Audrey sich sicher –, dann wünschte Max sich eine diskrete Partnerin; eine Dame – im wahrsten Sinne des Wortes.
Rasch überflog sie einige weitere Profile. Dann erschien das von Kate Biggs auf ihrem Bildschirm.
Wie wäre es mit ihr, der Neuen, die Alice gerade aufgenommen hatte? Nachdenklich betrachtete Audrey das Foto von Kate. Sie war im richtigen Alter und eigentlich ganz hübsch. Keine grässliche künstliche Sonnenbankbräune, wie sie viele junge Frauen heutzutage so schick fanden. Gebildet und mit Uni-Abschluss. Audrey überflog Kates Steckbrief. Dann klickte sie die Datei an. Oha, eins von diesen PR-Mädels. Audrey hielt diese ganzen Werbeleute für einen schamlos selbstverliebten Haufen. Nicht das Richtige für Max. Sie klickte weiter.
Helen Oxford? Nein, schlechte Zähne. So lang, irgendwie. An denen blieb doch sicher ständig Lippenstift kleben.
Abigail Brookes? Nicht mit diesem grauenhaften, schlecht gefärbten Haaransatz.
Lia Jenkins? Zu stämmig.
Catherine Huntley?
Della Bosworth?
Audrey seufzte. Es gab einfach viel zu viele nichtssagende Durchschnittsfrauen. Niemand im Partnervermittlungsgeschäft würde das je offen sagen, aber es stimmte. Die Frauen jammerten ununterbrochen, dass es einfach keine netten, alleinstehenden Männer gab, dabei hatten sie das nur sich selbst zuzuschreiben. Warum nur fanden es so viele Frauen vollkommen okay, in Jeans und Turnschuhen herumzulaufen? Audrey war fest davon überzeugt, die wachsende Zahl alleinstehender Frauen stand in direktem Zusammenhang mit der allgemein sinkenden Kleidungsmoral. In den fünfziger Jahren, als die Frauen immer tadellos gekleidet waren, hatte man sie fast nie über ihre unaufhaltsam tickende Uhr lamentieren gehört. Heutzutage gaben sie sich einfach nicht mehr genug Mühe. Wollte man sich als Dame einen Herrn angeln, musste man die richtigen Signale aussenden: gepflegtes Äußeres, hübsch frisierte Haare, hohe Absätze, nicht zu viel trinken, in der Öffentlichkeit
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