Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
Jahre älter und fünf Kilo schwerer als auf ihren Profilfotos.«
Kates Wangen brannten, als hätte man sie geohrfeigt.
»Wir bilden uns eben alle gern ein, wir seien immer noch einundzwanzig«, piepste sie kleinlaut.
»Mmmm.« Irgendwie gelang es Sebastian, gleichzeitig desinteressiert und skeptisch zu klingen. Zum Glück wechselte er dann das Thema. »Sie sind das PR-Mädel, stimmt’s?«
»Ja«, antwortete Kate und nippte zur Nervenberuhigung am Wein, wobei sie beschloss, die herablassende Verwendung von »Mädel« großzügigerweise zu überhören. »Ich bin Kundenbetreuerin bei Julian Marquis PR.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute Sebastian sie an. »Julian Marquis? Den kenne ich schon ewig. Wir haben zusammen in Oxford studiert.«
Kate erstarrte.
»Über Weihnachten fahren wir jedes Jahr zusammen zum Skifahren. Wir quartieren uns mit zwanzig, fünfundzwanzig ganz engen Freunden in einer fantastischen Berghütte ein und verbringen dort gemeinsam die Feiertage. Dieses Jahr war die Piste einfach perfekt …«
Aber Kate hörte ihm gar nicht mehr zu. Hinter ihrem aufgesetzten Lächeln litt sie Höllenqualen. Der heutige Abend entwickelte sich zunehmend zu einem Desaster. Zunächst einmal konnte sie es kaum fassen, dass er ihre Figur kritisiert hatte. War sie tatsächlich so fett? Als Bohnenstange ging sie ganz sicher nicht durch, aber war ihr Gewicht wirklich das Erste, was einem an ihr auffiel? Viel deutlicher hätte Sebastian ihr kaum zeigen können, was für eine herbe Enttäuschung sie für ihn war. Und zu allem Überfluss kannte er auch noch Julian. Womöglich würden die beiden auf sie zu sprechen kommen, und Julian würde sie bis in alle Ewigkeiten damit aufziehen, dass sie sich bei einer Partnervermittlung angemeldet hatte.
Sie trank einen großen Schluck Wein, rasch gefolgt von einigen weiteren Schlucken. Je mehr Sebastian redete, desto mehr trank sie. Als der Kellner schließlich den Hummer brachte, näherte sich seine Geschichte gerade dem Höhepunkt, an dem er sich heldenhaft eine schwarze Piste hinuntergestürzt hatte, und das nur auf seinen zweitbesten Skiern – und Kate musste unbedingt mal aufs Klo und sich den Rotweinring von den Lippen schrubben.
»Entschuldigen Sie mich bitte.« Rasch verdrückte sie sich in Richtung Toilette und ließ Sebastian mitten im Satz mit seinem Krustentier in der Luft hängen.
Im schummerig beleuchteten Zufluchtsort der Damentoilette betrachtete Kate sich eingehend im Spiegel. Tatsächlich, sie sah aus, als hätte sie sich Matsch um den Mund geschmiert. Dann wanderte ihr Blick nach unten, und sie begutachtete niedergeschlagen ihren Aufzug. Okay, sie war in Eile gewesen, aber warum nur hatte sie ausgerechnet dieses Kleid angezogen? Kein Wunder, dass Sebastian enttäuscht war. Sie sah aus wie ein Walross auf Stilettos. Todunglücklich atmete sie einmal tief durch und marschierte wieder zurück ins Restaurant.
Am Tisch nahm Sebastian bereits den Hummer in Angriff, präzise wie ein halb verhungerter Chirurg. Das silberne Besteck in seinen Händen blitzte bedrohlich. Kates Blick wanderte zu ihrem Teller. Neben dem Hummer lagen eine Gabel, etwas Nussknackerähnliches und ein langer, spitzer Spieß. Ein Messer gab es nicht. Ratlos besah sie sich den Hummer. Er befand sich noch in der Schale und schien nur aus Augen, Scheren und Tentakeln zu bestehen. Mit sinkendem Mut ging Kate auf, dass Hummeressen augenscheinlich eine hohe Kunst war, in der sie sich als völlig ungeübt outen würde. Es musste doch eine halbwegs vornehme Art geben, die Schale zu knacken. Ihr brach der Schweiß aus.
Um Zeit zu schinden, mümmelte sie ein paar Pommes frites. Dabei versuchte sie, unauffällig zu beobachten, wie Sebastian das mit dem Zerlegen anstellte, aber was immer er tat, er war zu schnell, und ihr Gehirn kam einfach nicht mit.
Während Sebastian also seelenruhig knackte, spießte und mampfte, führte er einen scheinbar endlosen Monolog über die Situation auf dem Aktienmarkt und den unglaublich wichtigen Job, dem er nachging. Von Kate schien keinerlei Beitrag zu dieser Konversation erforderlich oder erwünscht zu sein, also konzentrierte sie sich ganz darauf, ihres Abendessens Herr zu werden. Sebastians Blick war fest auf seine Sezierarbeit gerichtet, und er schaute kein einziges Mal auf.
Die Luft war rein.
Schnell nahm Kate den Nussknacker in eine Hand, packte den Hummer mit der anderen und versuchte ungeschickt, das Tier zwischen die Schenkel des Geräts zu klemmen.
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