Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
ausgeführter Kopfstoß ausgesehen. Aufgeschreckt unterbrach John mitten im Satz sein Gespräch und drehte sich zu ihr um, nur um das Ende von Audreys missglücktem Manöver zu sehen, das wirkte, als wollte sie sich die Nase am Ärmel seines Smokings abwischen.
»Audrey, alles in Ordnung?« John klang ehrlich besorgt.
Peinlich berührt richtete Audrey sich abrupt auf, wandte sich von Johns betroffenem Gesicht ab und begann ein angeregtes Gespräch mit Matteus. Der fing sofort an, ihr seinen Lebenslauf herunterzubeten, während John widerstrebend sein abrupt unterbrochenes Gespräch mit Eileen Chambers wieder aufnahm, und Audrey gab sich alle Mühe, den verschmierten korallenroten Lippenstiftfleck auf Johns Ärmel zu ignorieren, ebenso wie den Abdruck an ihrer Stirn und den pochenden Schmerz, dort, wo sie mit dem Kopf gegen seinen Ellbogen geschlagen war. Den körperlichen Schmerz und den kleinen Schönheitsfehler konnte man leicht übersehen, aber das nicht enden wollende Gegacker von Sheryls Seite des Tisches war schwer zu überhören.
Alice
A lice gab sich große Mühe, ihr Champagnerglas als halb voll zu betrachten. Wie angewiesen hatte sie darauf geachtet, langsam und nicht zu viel zu trinken, damit Audreys schlimme Vorahnung nicht wahr wurde, sie könne den guten Ruf von Table For Two womöglich mit ihrem unschicklichen Verhalten in den Schmutz ziehen. Eigentlich hätte sie ihr bis zur Mitte gefülltes Champagnerglas ja als halb leer angesehen, aber heute Abend versuchte sie, allen widrigen Umständen zum Trotz positiv zu denken. Ihr Glas war halb voll. Entschlossen setzte sie sich gerade hin und versuchte, den Anschein zu erwecken, als amüsiere sie sich prächtig.
Tatsächlich hatte seit etlichen Minuten niemand mehr mit ihr geredet. Brad zu ihrer Linken war damit beschäftigt, sich von Sheryl begrapschen zu lassen, und Alice fiel es zunehmend schwer, so zu tun, als bekäme sie nicht mit, was unter dem Tisch passierte. Hin und wieder kicherten Brad und Sheryl anzüglich oder unterbrachen ihr angeregtes Gespräch, um Ernie einen Witz zu erzählen, aber dass Brad das letzte Mal etwas zu Alice gesagt hatte, war schon eine ganze Weile her. Was vermutlich auch besser war. Beim letzten Mal hatte er derart zweideutige Bemerkungen gemacht, dass sie gar nicht gewusst hatte, wie sie darauf reagieren sollte. Dementsprechend hatte sie so lange für ihre Antwort gebraucht, dass er das Interesse verloren und sich wieder von ihr abgewandt hatte.
Außerdem war es wohl ohnehin besser, wenn sie für diese Seite des Tisches unsichtbar blieb, sagte sich Alice, während alle um sie herum angeregt miteinander plauderten. Sie hatte Sheryl immer schon einschüchternd gefunden, mit ihrem unerschütterlichen Selbstvertrauen und ihrem übergroßen Ego. Aber nachdem diese sie in das Geheimnis ihrer niederträchtigen Vermittlungspraktiken eingeweiht hatte, hatte sie es womöglich sogar auf Alice abgesehen, und das war eine ziemlich beängstigende Vorstellung. Ob sie nun wollte oder nicht, sie besaß jetzt gewisse Informationen über Sheryl – Informationen, die sie nur bekommen hatte, weil Sheryl darauf vertraut hatte, dass Alice in Zukunft für sie arbeiten würde. Aber Alice hatte sie abgewiesen, und Sheryl gehörte nicht unbedingt zu den Menschen, die lebten und leben ließen. Allein die Aussicht auf die Strafe, die sie unvermeidlich erwarten würde, bereitete ihr Höllenqualen … aber das war noch nichts verglichen mit der Qual, nun entscheiden zu müssen, was sie mit diesem Wissen anfangen sollte.
Einfach nichts zu tun stand außer Frage; schließlich gab es Klienten, die unter Sheryls Praktiken zu leiden hatten. Gut, es waren zwar nicht ihre Klienten, aber die Sorge um diese Menschen machte Alice trotzdem zu schaffen. War sie nicht moralisch dazu verpflichtet, das irgendwie in Ordnung zu bringen …? Aber wie? Wem sollte sie davon erzählen? Audrey? Niemals. Audrey war genauso Furcht einflößend wie Sheryl, und ihr von der Sache zu erzählen würde bedeuten, ihr zu gestehen, dass sie beruflichen Hochverrat begangen und sich hinter ihrem Rücken mit Sheryl auf einen Kaffee getroffen hatte. Und außerdem: Was, wenn Audrey bei ihren Vermittlungen dieselbe Taktik einsetzte? Nein, zuerst musste sie sich von Audreys Unschuld vergewissern. Aber sie war sich nicht sicher, wie lange das dauern würde. Wem konnte sie sich sonst anvertrauen? Ernie? Schließlich war er der Präsident des Berufsverbandes und ein Mann mit
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