Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
untadeligen Grundsätzen. Und was die Partnervermittlung anging, war er einer der Pioniere; ein Mann der ersten Stunde. Aber, dachte Alice und beobachtete, wie Sheryl vertraulich Ernies Arm drückte, während beide über einen Witz lachten, den niemand außer ihnen gehört zu haben schien … aber … dann stünde ihr Wort gegen das von Sheryl. Warum um alles auf der Welt sollte Ernie der unscheinbaren kleinen Angestellten einer mittelmäßigen Agentur mehr Glauben schenken als der hoch angesehenen, erfolgreichen Inhaberin einer der am schnellsten wachsenden Vermittlungsagenturen der ganzen Stadt?
Alice nippte an ihrem Champagner und zwang sich zu einem Lächeln, als sei sie in bester Partylaune, anstatt nur unbeteiligt dazusitzen. Nun ja, was hatte sie auch erwartet?, fragte sie sich streng. Selbstverständlich ignorierten sie die meisten anderen Gäste am Tisch, denn das waren allesamt Vermittlungsschwergewichte. Von Matteus war sie allerdings ziemlich enttäuscht. Er war der einzige andere Mensch in ihrer Nähe, der kein Agenturchef oder Ehepartner eines Verbandsmitglieds war, weshalb sie auf ein bisschen Solidarität zwischen ihnen beiden in ihrer Position als Underdogs gehofft hatte. Doch Matteus war zu spät gekommen, hatte nur ein knappes »Hallo« in ihre Richtung gemurmelt und schleimte sich seitdem entweder mit der Aufzählung seiner herausragenden Berufsqualifikationen bei Audrey ein oder lieferte sich mit Ernie auf der anderen Seite des Tisches aufgesetzt vertrauliche Wortgeplänkel.
Dementsprechend hatte Alice sich beim Essen gefühlt wie eine Mischung aus ungebetenem Partygast und verklemmtem Anstandswauwau. Unauffällig hielt sie nach der Kellnerin Ausschau, um ihr Glas nachfüllen zu lassen. Sie brauchte dringend noch was zu trinken. Aber die Kellnerin war anderweitig beschäftigt. Also wanderte ihr Blick zu Audrey, die Matteus mit glasigen Augen anstierte, während der unüberhörbar eine seiner unzähligen beruflichen Erfolgsgeschichten zum Besten gab. Alice kannte Audreys Grimassen in- und auswendig – vor allem die übellaunigen –, und so, wie sie gerade aus der Wäsche guckte, wusste Alice, dass alles, was Matteus ihr erzählte, zu ihrem einen Ohr hineinging und zum anderen wieder hinaus. Was vermutlich auch daran lag, dass Audrey bereits ziemlich angetrunken war. Ach, welch herrliche Ironie! Alice musste zum ersten Mal an diesem Abend wirklich von Herzen lächeln.
Dann schweiften ihre Gedanken ab zu John. Der schien wirklich nett zu sein, wesentlich netter, als sie es von Audreys Ehemann erwartet hätte. Er war jünger als erwartet und sah ziemlich gut aus. Sie fragte sich, was er wohl an Audrey fand, denn irgendwie passten die beiden überhaupt nicht zusammen. Alice gab sich Mühe, nur nette, positive Gedanken zuzulassen. Die Liebe war nun einmal rätselhaft. Viele Paare verliebten sich Hals über Kopf ineinander, obwohl sie von außen betrachtet überhaupt nicht zusammenpassten. Genauso musste es wohl auch bei Audrey und John gewesen sein. Bestimmt hatte Audrey auch ihre guten Seiten – selbst wenn sie diese geschickt zu verbergen wusste. Vielleicht war sie eine begnadete Köchin oder eine warmherzige Frau, die ihren Partner in allem unterstützte, oder womöglich auch – allein bei dem Gedanken wurde Alice ganz anders – eine atemberaubende Liebhaberin. Vielleicht war es ja genau das, und Audrey war eine Granate im Bett! Wie sonst sollte man sich erklären, dass ein gut aussehender, höflicher Gentleman wie John mit ihrer sturschädeligen, diplomatisch minderbegabten Chefin verheiratet war?
Just in diesem Augenblick schaute John auf und ertappte Alice dabei, wie sie ihn anstarrte. Sofort sah sie betreten weg und blickte mit hochroten Wangen auf ihren Teller. Dann überlegte sie, was für ein Gesicht sie wohl gemacht hatte, als er zu ihr herübersah. Was, wenn sie sich Audrey gerade als zügellose Geliebte vorgestellt und man ihr das an der Nasenspitze angesehen hatte?
Angestrengt tat sie, als sei sie ganz in die eingehende Betrachtung ihres Tellers vertieft. Kurz darauf schrillte Sheryls Stimme durch das allgemeine Geplapper und Geklapper.
»Dabei sind wir doch alle ziemlich nachlässig, was unsere Berufsehre angeht!«, hörte sie Sheryl flöten. »Wir brüsten uns damit, dass wir den Menschen helfen, die wahre Liebe zu treffen, und finden doch gar nichts dabei, dass mitten unter uns ein Single sitzt!«
Alice wurde plötzlich ganz unbehaglich zumute.
»Ich meine, wir
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