Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
sitzen hier – noch dazu bei einem Ball – und haben ein waschechtes Aschenputtel an unserem Tisch.« Sheryl stieß ein Lachen aus, das Glas zum Bersten bringen konnte. »Ist es nicht ironisch, dass unsere liebe kleine Alice Brown für jeden anderen die große Liebe findet, nur für sich selbst nicht? Wir alle sollten es uns zur Aufgabe machen, Alice’ Liebesleben ein bisschen aufzumöbeln und einen Mann für sie zu suchen. Es geht schließlich um unsere Berufsehre! Wir können doch nicht zulassen, dass eine von uns ein Ladenhüter ist!« Und damit gluckste sie hämisch, und etliche andere stimmten mit ein.
Alice spürte die flammende Röte vom Kopf bis in die Fingerspitzen. Sie konnte einfach nicht fassen, was Sheryl da sagte! Woher wusste sie überhaupt, dass Alice Single war? Ob Audrey ihr das verraten hatte? Alice war so entsetzt, dass es ihr fast den Atem verschlug. Sie hörte ihren Herzschlag vor Scham laut in den Ohren pochen.
»Audrey!«, rief Sheryl. »Ja, Erde an Audrey! Findest du es nicht ein wenig geschäftsschädigend, eine alte Jungfer unter deinen Mitarbeiterinnen zu haben? Was sollen denn deine Klienten denken?«
Was bezweckte Sheryl bloß damit? Warum war sie so gemein? Wollte sie sich etwa so an Alice rächen … indem sie sie runtermachte und als unvermittelbar hinstellte? Sie führte sich auf wie eine hundsgemeine Zimtzicke. Warum nur unternahm niemand etwas dagegen? Zaghaft schaute Alice zu Ernie. Der war sonst immer ausgesprochen nett zu ihr und machte ihr überschwängliche Komplimente wegen ihrer vielen erfolgreichen Vermittlungen. Heute Abend allerdings war sein Gesicht vom Alkohol hochrot, und er schien zu sehr damit beschäftigt, Sheryl in den überdimensionierten Ausschnitt zu starren, wo ihr wogender Busen das glitzernde Kleidchen zu sprengen drohte, um Alice zur Seite zu stehen. Nicht mal Audrey machte den Mund auf. Dabei hatte diese, was Sheryl anging, sonst eigentlich immer ein paar spitze Bemerkungen in petto. Aber das war mal wieder typisch; jetzt, wo Alice ihre Hilfe brauchte, saß Audrey bloß stocksteif da, mit puterrotem Gesicht und fest zusammengekniffenen Lippen.
»Aber immerhin wissen wir, was für eine loyale Mitarbeiterin sie ist«, fuhr Sheryl in bissigem Tonfall fort. »Bei Table For Two gehört sie ja schon beinahe zum Inventar, stimmt’s, Alice? Wobei, wisst ihr, eigentlich ist Alice nur der Liebe wegen in diesem Geschäft. Sie glaubt tatsächlich daran, für ihre Klienten Amor spielen zu müssen, nicht wahr, Herzchen? Sie glaubt, das sei ihre Berufung, ihr Daseinszweck! Jeden Morgen steht sie auf und strampelt sich auf ihrem klapprigen alten Fahrrad das kleine Herz aus dem Leib, im festen Glauben, ihre Aufgabe im Leben bestünde darin, Amors Pfeile zu verschießen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich ineinander verlieben!«
Alice wurde schlecht, und sie schaute angestrengt in ihren Schoß. Der knallrote Nagellack an ihren Fingern erschien ihr nun völlig lächerlich. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich so herauszuputzen? Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich als verführerische Frau auszugeben; als professionelle, angesehene Partnervermittlerin? Wo doch jeder wusste, dass sie bloß die kleine, unscheinbare Alice Brown war. Die kleine, unscheinbare, alleinstehende Alice Brown. So armselig, dass sie nicht mal einen Mann abbekam.
Dann erst merkte sie, dass jemand anderer das Wort ergriffen hatte – und zwar John.
»Also, ich finde, das sind die besten Voraussetzungen für eine Partnervermittlerin«, erklärte er ganz ruhig, die blauen Augen fest auf Sheryl gerichtet. »Würde ich je zu einer Vermittlungsagentur gehen, wäre Alice als Beraterin meine erste Wahl. Ich kenne sie zwar nicht wirklich gut, genau genommen sehe ich sie heute Abend zum ersten Mal, aber man merkt sofort, dass sie ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch mit einem großen Herzen ist. Und das ist meiner Meinung nach die denkbar beste Qualifikation für eine Partnervermittlerin.«
Am Tisch war es totenstill geworden. Selbst Sheryl sagte keinen Ton mehr.
John fegte ganz beiläufig ein paar Krümel vom Tischtuch und redete vollkommen ungerührt weiter.
»Und wenn sie Single ist, dann geht das niemand anderen etwas an als sie selbst. Irgendjemand da draußen wird sich eines Tages sehr glücklich schätzen, Alice an seiner Seite zu wissen.«
Und damit drehte John sich zu Alice um und lächelte ihr aufmunternd zu.
»Danke«, flüsterte sie tonlos, schob dann
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